Bei den zwischen 1998 und 2000 in der Laverdafabrik in Zane in Handarbeit gebauten
750S/750S Formula handelt es sich um reinrassige Supersportbikes.
Sie waren in ihrer Zeit (d.h. Um die Jahrtausendwende) der japonesischen Konkurrenz (Goof PC30/35, YZF 600, ZXR etc)
motorseitig (fast) ebenbürtig, aber fahrwerksseitig haushoch überlegen -
auf dem Markt hieß das Ziel von Laverda dann auch nicht Honda oder Yamaha, sondern Ducati 748.
Natürlich sind aktuelle Supersportler aus Japan bzw. England heute besser. Aber vergleicht ernsthaft jemand die
Performance einer aktuellen R6 mit der einer 98er YZF 600...?
Und wer weiß wie es heute aussähe, hätte Laverda im letzten halben Jahrzehnt das geplante Dreizylinder-Superbike auf
die Beine gestellt... Benellis Tornado und TNT lassen leise erahnen, wo Laverda heute stehen könnte.
Die 750S Formula zeichnet sich als Edelversion der "normalen" 750S durch besonders
feine Komponenten aus, die den höheren Preis gegenüber den Großserienprodukten aus dem
Land der aufgehenden Sonne mehr als rechtfertigten:
Brembo-Gold-Bremsanlage vorne und hinten (selbstverständlich Stahlflex serienmäßig), vollschwimmende
Brembo-Gussscheiben (98er u. 99er Modelle),
werksseitig polierter Rahmen und Schwinge, Sitzbankabdeckung, gefräste, eloxierte Racingfußrastenanlage,
verstellbare Stummel (98er Modell) bzw. massive gefräste Alu-Stummel (99 und 2000) und nolens wolens
höhere Motorleistung. Das Fahrwerk brilliert mit
3-fach verstellbarer Paioli-USD-Gabel (wobei die 99/2000er Modelle einen neueren Typ haben) und 4-fach (!)
verstellbarem Paioli-Federbein (Zugstufe/Druckstufe/Federbasis/Länge).
Es mag übertrieben erscheinen, zeigt aber die Philosopie von Laverda: fast
sämtliche Schrauben und Muttern an Motor und Fahrwerk sind aus hochwertigem Edelstahl! Schließlich soll sich der
Laverda-Kunde nicht mit rundgedrehten Billigstschrauben abplacken.
Das Fahrwerk ist auch nach fünf Jahren eine Referenz, dort wo andere Moppeds wilde Bocksprünge aufführen, bügelt die Formula (mit der richtigen Reifenwahl) unbeindruckt über Fräsrillen und Flickstellen hinweg. Zwar handlicher als eine 748, bleibt das Pilotieren der Laverda dennoch physisch fordernd. Insbesondere ab ca. 100 km/h benötigen die Stummel Druck aus der ganzen Körpermuskulatur, um die Maschine schnell in Schräglage zu bringen. Einmal abgewinkelt, bleibt sie stabil in der Bahn und ist kaum aus der Spur zu bringen. Wie alle leichten Motorräder mit kurzem Radstand (1375mm) zeigt die Laverdagabel beim starken Beschleunigen (v.a. über Bodenwellen) Kickback, dem man per Lenkungsdämpfer beikommen kann.
Auch im Verleich mit den aktuellsten 600ern baut die Laverda kompakt und klein, nicht zuletzt wegen dieses zierlichen Prallel-Twin-Motors. Kennt man die wuchtigen Triebwerke der japanischen Vierzylindertradition oder die nicht minder imposanten Ducati-Trieblinge, so möchte man es kaum glauben, das dieses kleine, gedrungene Stück Leichtmetall echte 95 PS abliefert. Denn in seinen Grundzügen stammt der Motor von dem 80er Jahre 4-Ventiltwin der Laverda-Mittelklasse 500er ab.
Mal sehen, ob bei einem nicht alltäglichen Motorrad so etwas wie "Alltagstauglichkeit" entdecken ist.
Naturgemäß ist die Sitzposition sehr sportlich und kann einem
(mir) auf längeren Strecken schon mal Kniebeschwerden einbringen.
Ein Pluspunkt bei längeren Fahrten ist auf jeden Fall das optimal gepolsterte Sitzkissen und der tolle Windschutz.
Hinter der Originalscheibe gibt es genau Null Turbulenzen, "aufrecht" sitzend werden Helm und Oberkörper
völlig gleichmässig angeströmt, auf dem Tank liegend geht der Luftstrom über den Fahrer hinweg.
Bei den meisten Sportmaschinen dienen die Rückspiegel mehr dazu, die eigenen Unterarme zu bewundern.
Nicht so bei der Laverda: die großen Spiegel erschließen nach hinten ein weites Blickfeld.
Das Soziusbrötchen der 750S Modelle ersetzt man am besten gleich durch die (bei den Formulas
serienmäßige) Abdeckung.
So etwas profan-praktisches wie ein (noch so kleines) Staufach sucht man vergeblich. Die Formula ist
Rennmaschine und kein Reisedampfer. Also steckt man die Kreditkarte in die Kombi und läßt die
Brieftasche mit dem Führerschein am besten prophylaktisch zu Hause ;).
Anders als bei den Ducati 8-Ventilern ist die Wartung (Öl, Ventile/Shims, Synchronisieren, Steuerkette) problemlos selbst durchführbar. Die Komponenten Motor und Elektrik sind aber mindestens so empfindlich wie bei den Diven aus Bologna und können einen zur Weissglut bringen, wenn sie mal wieder unvermittelt während der Ausfahrt streiken.
Aber danach, dann entschädigt die Orange den ganzen Ärger mit ihrem Fahrgefühl, diesem Gemisch aus Konzentrierung, rüttelnden Lebensäußerungen eines Paralleltwins und dem in der Motorradwelt einzigartigen, wilden Getrommel aus der Termignoni-Racinganlage.