From: Andreas Portz, Andreas.Portz@gmx.de
Subject: Einmal la mer und zurück, bitte!
Date: Thu, 15 Apr 1999 09:02:51 +0100
Organization:

"Bitte sehr der Herr, das macht dann genau 4038km!"


Hallo zusammen!

Da mich mein Chef kurzfristig genötigt hat, meinen alten Resturlaub zu
verbraten, habe ich die Osterfeiertage verlängert und mich und meine XJ
letzte Woche ein Bißchen in Frankreich rumgetrieben.
Eigentlich wollte ich schon Karfreitag los, aber da mein Lackierer mich
mit der Beseitigung der Kampfspuren des Heiligabendtrips auf’s
Johanniskreuz sehr lange hingehalten hat, bekam ich die
Verkleidungsteile erst am Donnerstag Abend nach 22:00. Eine sofort
eingleitete Nacht- und Nebel-Bastelaktion hätte mir wahrscheinlich noch
der Freitag retten können, aber da es mehr als nur ein Plastikteilchen
anzubringen und auszutesten galt, habe ich die Sache etwas ruhiger
angehen lassen. Soll ja schließlich Urlaub sein und keine Hetze mit
einem womöglich noch halbseitig waidwunden Mopped, das nach Umbauten,
Dämpfer-, Reifen- und Ölwechsel seit Januar nicht mehr bewegt wurde.
So habe ich noch gemütlich alles Notwendige für einen 9-Tage-Trip durch
verschiedene Klimazonen eingepackt und am Ostersamstag Südkurs angelegt.

Das Reiseziel war eindeutig vorgegeben: Südfrankreich, genauer die
Camargue, genauer Arles. Zum einen deshalb, da diese Ecke alles bietet,
was man von einem Urlaub erwartet: Sonne, Berge, Kurven, Strand. Zum
anderen findet in der Stadt über die Osterfeiertage ein ausgelassendes
Volksfest, die Feria (*) statt.
(*) Anmerkung für alle, die mit den dortigen Gepflogenheiten nicht so
vertraut sind: "Feria" ist der südländische Sammelbegriff für alles, was
man mit Stieren so anstellen kann: Mittags durch die Gassen der Altstadt
treiben, Abends in der Arena hin- und herscheuchen und Nachts in feinen
knusprigen Streifen vom Grill filetieren und mit Knobisauce beträufeln.
Je nach Tagesform können beim 2. Punkt auch mal die Rollen vertauscht
sein.


Tag 1:
Um nicht gleich hinter der zweite Kurve nach dem Weg fragen zu müssen,
habe ich mich für den ersten Tag auf meine Vogesen-Standardroute in
Richtung Nord-West-Schweiz beschränkt, um die neuen Reifen auf gewohntem
Terrain anzugrippen. Das hätte bei dem schönen Wetter außerdem
zwischenfallfreies Heizen bieten sollen. Auf dem Col de la Schlucht war
dann ein Klappschild für die Route des Crêtes geschlossen und ein
kleines Zusatzschild signalisierte "ouvert". Hat sich aber wohl leider
nur auf den Skilift bezogen. Nach keinen 5 km kam ich also zu einer
Pistenwalze, die mehrere Meter hoch über der Straße auf einer Schneewehe
stand. Von oben grinste mich ein Skifahrer an, der mir damit zu
verstehen gab, daß ab hier sein Revier beginnt. Erhobenen Hauptes, aber
innerlich geknickt trat ich somit den Rückzug an: mal verliert man – mal
gewinnen die anderen. Die Paßstecke wurde weiträumig im Tal umfahren.
Später auf der Serpentinenstrecke von Thann nach Masevaux erkannte ich
im Rückspiegel plötzlich zwei schnell näherkommende Scheinwerfer, die
sich auch gleich darauf akustisch zu erkennen gaben: V2. Da es nur noch
wenige Kehren bis zum nächsten Kaff waren, konnte ich sie trotz
Reisegepäck einigermaßen auf Distanz halten. Zwei schwarze TL 1000 S,
mit identischen Umbauten und partnerlookartig angezogenen Fahren. Poser!
Innerorts haben sie dann aufgeschlossen und sich an einer roten Ampel
rechts und links vor mir plaziert. Nächste Überraschung: fortlaufende
Nummernschilder! Grünes Licht geht an und quattrophones Donnergrollen
läßt mich die Unwürdigkeit meines irdischen Daseins erkennen. Ich muß
unbedingt mal mit meinem Banker reden! Zwei kleine Rücklichter
entschwinden am Horizont.
Am späten Nachmittag stelle ich fest, daß am Ende der Etappe noch soviel
Tag übrig ist – liegt wohl am neuen BT45, der hat einfach mehr Grip in
schnellen Kurven! Also wird kurzfristig ein improvisierter Notfallplan
entworfen, d.h. ich fahre einfach noch ein Schleifchen in die Schweiz
rein.

Tag 2:
Morgens der Blick aus dem Fenster: &"§$*@$! Bei dem Wetter jagt man
nicht einmal Hasen vor die Tür. Na gut, dann eben keine Schokoeier unter
der Sitzbank. Richtung Süden am Lac Lèman entlang wurde es langsam
besser, dann von Gex aus über den Col de la Faucille ins französische
Jura über St. Claude (geile Kurven!) Richtung Westen. Mittlerweile schön
warm und sonnig. Nachmittags im Loiretal angekommen noch etwas den Bach
begleitet und dann in St. Etienne einquartiert. Deutsche
Ladenöffnungszeiten sind das hier wohl nicht: Ostersonntag, 22:00 und
die Geschäfte offen.

Tag 3:
Weiter der Loire Richtung Quelle ins Hinterland gefolgt. Unterwegs
wird’s trotz Sonne langsam recht frisch. Mir fällt auf, das hier die
Laubbäume noch völlig kahl dastehen. Selbst in D 1000 km weiter nördlich
waren schon Knospen oder Blüten und Blätter zu sehen. Ein
Markierungsstein zeigt dann warum: "Alt. 1100m" So kann man sich bzgl.
der "Hügel" irren. Bezeichnenderweise trägt die Straße die Nummer D500.
Auf der Schwarzwaldhochstraße wäre es jetzt wohl auch nicht angenehmer.
Nachdem sich die Loire in einem Bächlein Wohlgefallen aufgelöst hat,
schwenke ich noch ein Stückchen Richtung West über den Col de Finiels.
Obwohl im Tal unten schon wieder satte 20°C waren, ist die Gegend hier
oben neben der Straße flächendeckend weiß und ausreichende beliftet.
Somit begegnen mir auch wieder vereinzelt Stockträger. Südlich des Cols
wieder zurück Richtung Ardèche. Das Sträßchen hat was: recht schmal,
herrlich kurvig, Nordseite des Hangs und damit voll in der Sonne, und
griffigster Belag. Das man trotzdem die Kuh nicht allzusehr fliegen
läßt, liegt daran, daß neben der Straße die Schlucht mehrere 100 m tief
abfällt. Völlig ohne Leitplanke. Asphalt, 30 cm Grasnarbe mit Blümchen,
Nirwana! Man sieht von der Mitte der eigenen Spur nicht mal, daß da noch
ein Absatz oder sonstwas kommen könnte. Durch die bekannt schöne und
heute völlig überfüllte Gorges de l’Ardèche geht’s ins Rhonetal und
immer knapp am Fluß lang Richtung Arles. Hier wird einem wieder bewußt,
daß es in ganz F keine Radarfalle geben kann, denn sonst würden die 2CV
innerorts bei Tacho 90 nicht mehr so drängeln. Auf den langen Geraden zu
nächsten Kaff kann man dann mit Tourenscheibe und starkem Mistral im
Rücken bequem am großen 2er kratzen.

4. Tag:
Stationär von Arles aus bei bestem Südfrankreichwetter kleines
Camargue-Plichtprogramm: Pont du Gard (oberstes Plateau leider immer
noch wegen Renovierung gesperrt), Les Baux des Provence, Stes. Maries de
la Mer.

5. Tag:
Blick aus dem Fenster, Ergebnis s. 2. Tag, nur wärmer. Na denn,
orangefarbenes Kondom übergezogen und ab Richtung Mont Ventoux. Leider
(oder zum Glück bei der Witterung da oben) ist die Nordroute gesperrt.
Also südlich dran vorbei. Nur knapp 1500m hoch, aber saukalt und
stürmischer Schneeregen. Richtiges Bähwetter. Obwohl die Strecke selbst
ganz nett wäre. Oben am Abzweig zum gesperrten Paß, wo ich wieder nach
Westen ins Tal abdrehen muß stehen sauber aufgereiht ein gutes Dutzend
französische Militärkradler. Von ihrer Ausrüstung her müssen die noch
mehr frieren als ich, können sich aber wenigstens sagen, daß sie auf
Befehle statt eigene Dummheit hin handeln. Mit zunehmender Strecke nach
Westen an den Grand  Canyon du Verdon wurde es dann trocken,
aufgelockert bewölkt mit meistens Sonne und bei starkem Wind immer noch
recht frisch. Entsprechend wurden die wenigen Tourimobile zügig umrundet
und die schöne Landschaft, die ich sowieso schon von der
d.r.m.-Alpentour ´97 kenne gegen die wärmende Sonne der Côte d’Azur
getauscht. Durch den Berufsverkehr von Nizza gebraten und immer schön
die Küstenstraße lang Richtung Monaco. Vor zwei Jahren hatte ich dort um
fast die gleiche Jahreszeit das Glück, daß wegen dem anstehenden Formel
1-Rennen die Innenstadt schon fertig umgebaut war:
Einbahnstraßenverkehr, Leitplanken und Tribünen, kein Blumengekübel auf
der Ideallinie. Da konnte man so richtig schön ... Am Ortsschild vorbei
durch den kleinen Tunnel Richtung Innenstadt: "So liebe Monegassen, ich
möchte jetzt einen vorbildlich präparierten GP-Kurs sehen!" Und ...
Scheiße war’s. Bernies Terminkalender ist diesmal gegen mich. Auf dem
Weg weiter nach bella Italia kam ich dann fast in Versuchung einfach
beim Loews vorzufahren, dem total verstörten Türsteher den eingesauten
Schlüsselbund meiner nicht minder rattigen XJ in die Glacé-Handschuhe
fallen zu lassen und ihm die Anweisung zu geben, den Tankrucksack aufs
Zimmer zu bringen und sich darum zu kümmern, daß mein Baby am nächsten
Morgen fabrikneu poliert und mit angewärmtem Motoröl zur Abfahrt bereit
steht. Da mich der Spaß leider einen knappen Wochenlohn gekostet hätte
... Steht aber weiterhin ganz oben auf meiner to-do-Liste für die Zeit
nach der ersten Lottomillion! Abends dann in Menton am Strand die
letzten 60 min Sonne für lange Zeit genossen. Nachts kamen aus den
Bergen Gewitter mit Hagel.

6. Tag:
Angesichts der Wetterlage habe ich nochmals kurz überlegt, ob ich
wirklich von hier aus strait north quer durch die Alpen nach Hause will,
oder doch besser – wie vor 2 Jahren – über Digne und Gap das Gröbste
umfahre. Dieses Mal hätte ich auch den Vorteil zu wissen, daß die
kleinen Pässe dazwischen (Cayolle, Allos, Maure) sowieso nicht offen
sind. Damals habe ich einen halben Tag damit vertrödelt, in die
jeweiligen Täler reinzufahren, nach 20 bis 30 km am Anstieg das "Col
fermé" zu lesen und mich in’s nächste Tal zurückzuhangeln. Als
Informatiker ist man zum Glück mit Backtracking-Algorithmen vertraut. Da
ich gestern aber erst aus dieser Richtung gekommen bin und schließlich
ein Mann und keine Memme bin ... Zum Colle di Tende hoch mußte ich kurz
anhalten um eine undichte Stelle der Regenkombi zu richten. Zum Glück:
ich konnte gerade noch rechtzeitig die langen Risse rund um die Schraube
im Nummernschild erkennen. Ducttape rulez! Wie man ohne Blech über 800
km und 3 Länder mit Grenzkontrolle hinweg nach Hause kommt, habe ich vor
einiger Zeit schon vorexerziert, noch mal mußte einfach nicht sein. Kurz
vorm Tunnel di Tende hat mich dann der Winter so richtig übel erwischt -
in der lauen Hoffnung auf besser Wetter auf der italienischen Seite.
Komisch wie angenehm warm so ein Tunnel im Fels auf 1279 m Höhe sein
kann, im Vergleich zu draußen. Besonders im Vergleich zu dem
glücklicherweise gut gestreuten Skiparadies am Tunnelausgang! Nachdem
ich den Berg runtergeschwuchtelt bin, habe ich mir in Cùneo überlegt, ob
die Route über die gut 500 m höheren Colle de Maddalena und Col de
Larche nach Westen rüber wirklich ein so gute Idee ist. Alternativen, da
die meisten Pässe einfach noch gesperrt sind:
1. Mont Blanc-Tunnel, halt nein! Dort ist’s momentan noch etwas *zu*
warm.
2. Bahnverladung durch’n Simplon – macht ohne MTL keinen Spaß ;-))
3. Quer durch Norditalien bis ins Trentin und von dort aus um Meran
herum den Reschenpaß = Tausend km Umweg – Danke!
Alle indiskutabel, also auf zum Paß. Unterwegs das erfreuliche Gefühl,
eine Tafel mit 2 großen grünen Flächen zu sehen: "Col ouvert". Beim
Näherkommen mit zwei Zusatzschilder. Eins soll wohl einen Winterreifen
darstellen und das anderen könnte man als Schneekette deuten. Naja, der
BT45 hat auch so Grip. Die Strecke war dann trotz leichtem Schneefall
vom starken Wind frei- und teilweise sogar trockengeblasen. Faule
Spaghettifresser, lassen einfach die monatealten Schilder stehen. Da es
eben so gut geklappt hat überlege ich mir bei durchbrechender Sonne am
Fuße des Col d’Vars, ob es jetzt statt nach Gap nicht schöner wäre, doch
noch einen *echten* 2k-Alpenpaß mitzunehmen, da die bisherigen Hügel
zwar nur knapp aber eben doch erkennbar zu niedrig sind. Mit der Sonne
im Rücken war das dann streckenmäßig eine der besten Entscheidungen des
Tages. Unter der luftdichten Regenkombi war’s auf 2109 m immer noch
wärmer als sonstwo bisher. Nach der Abfahrt überkommt mich dann der
leichte Wahnsinn und ich frage einen Rennradler, der aus der
entsprechenden Richtung kommt, ob denn der Col d’Izoard schon offen sei.
Sein Gesichtsausdruck wirkt leicht erheitert – jaja, auch in meiner
Karte steht Wintersperre bis Juni. Aber fragen kostet doch nix. Dann
eben mit gesteigertem Tempo direkt nach Grenoble. Unterwegs noch dem
Campingplatz der Alpentour Hallo gesagt und kurz vorm Ziel den Hausberg
der Grenobler umrundet. War der übelste Eiertanz im 2257 m hohen
Skigebiet um Roche-Beranger, den ich seit Heiligabend `98 hatte. Aber
keine Materialeinbußen!

7. Tag:
Kühl trotz Sonne, aber von jetzt ab geht’s aus den Alpen raus und kann
nur noch besser werden. Ab der tollen Strecke von St. Claude (diesmal
bergauf) dann weitestgehend deckungsgleich mit der Anfahrt bis nach
Hause. Erst einmal aber in der Schweiz das Beste, was das Land zu bieten
hat ;-)) , nämlich Sprit für 1,07 SF! Gegen Abend aus den Bergen raus
nach Lausanne dann der erste echte Verbremser der Tour: irgendwie habe
ich in der Gegend rumgeträumt und den Einlenkpunkt für die kommende
Links-Rechts-Rechts-Links-Kombination total verpennt. Also strait on!
Glücklicherweise war es nur ein kleiner Hüpfer über die unbeplankte
Bankette in den frisch gepflügten Acker. Mit dem besten
4-Zylinder-Vollcrosser der Welt ging es nach vooorsichtigem Abbremsen
von 80 auf 30 runter recht sanft durch die Krume und auf der anderen
Seite auf die Straße zurück. Hat doch gar nicht weh getan! Noch knapp 2
Stündchen bis Montbeliard und dann erstmal ausruhen für die finale
Etappe.

8. Tag:
Herrrrrrliches Wetter! Die geilen Vogesen und kaum Verkehr trotz
Samstag. Der Tag war noch mal so richtig zum andrücken! Ich glaube, das
nächste Mal mache ich lieber 8 Tagestouren ohne Gepäck auf meinen
Hausstrecken und brenne die beiden TL-Schwuchtel mal so richtig her.
Kurz vor der deutschen Grenze im Elsaß ging es dann mit den
Wochenendträumern los. 04-10 sagt alles. In der letzten Woche habe ich
sogar LKWs gesehen, die schneller um die Kurven kamen und dabei noch
überholten. In D entlang der Weinstraße dann die absoluten
Schnarchnasen. Selbst mit meinem 8tägigen StVO-freien Geheize im
Hinterkopf läßt sich der Unterschied zwischen hiesigen "Bikern" und
verrosteten Peugeots nicht erklären.


Fazit: Auch ohne Heizgriffe kann man Teile der Route des Grandes Alpes
Anfang April fahren. Muß aber nicht sein ... oder doch?


Abschließend sei noch bemerkt, daß das für laaange Zeit der letzte
unbeschwerte Ausflug nach F gewesen sein dürfte. Mittlerweile sind die
juristischen Nachwehen meines Stunts auf dem 97er GUS-Vogesenfeldzug
nämlich böse eskaliert. So wie es aussieht haben mich die Gallier zur
Persona non grata erklärt und per Haftbefehl zur Fahndung
ausgeschrieben. Kein :-) !!!! Selbstverständlich werde ich mich auch
weiterhin zu gelegentlichen Touren über den Rhein hinreißen lassen, aber
sicherheitshalber nur noch ziemlich piano und mit einem Satz falscher
Papiere.



[diverse BCCs statt Karten]

  -Andreas