From: Tim Green, nc-greenti@NOJUNKnetcologne.de
Subject: Re: Indien
Date: Fri, 11 Jul 1997 07:35:30 GMT
Organization: Private Site

H.SCHANZ@LINK-DO.soli.de (Henning Schanz) wrote:

>Andreas.Fraebel schrieb am 08.07.97 um 11:05:
>
>Hi!
>
>> ich überlege momentan, nächstes Jahr ein Motorradurlaub in Indien
>> zu machen (ca 4 Wochen, mehr geht leider nicht, 2 Pers., 1 Enduro).
>[...]
>
>> Hat dazu schon mal jemand Erfahrungen gemacht ?
>

Nun ja, ich habe für längere Zeit in Indien gelebt (mehrere Abschnitte
von 6 Monate bis ein Jahr) und öfters da ein Motorrad gehabt, meistens
eine 500er Enfield aber auch diverse Jawas. Eine richtige
"Motorradreise" habe ich nicht gemacht, es ist aber durchaus machbar.

Wenn möglich, verkneif' dir bitte die Sache mit dem Enduro und laß'
die Kiste zuhause. Oder füll' dein Gepäck nur mit Ersatzteilen und
mach' dich auf schier ENDLOSEN Ärger mit Beamten bei der Ein- und
Ausreise gefaßt. Indien ist nach China wahrscheinlich das korrupteste
Land auf dieser Erde und alles was mit Ein- und Ausfuhr zu tun hat
braucht viel Zeit, viel Geduld, viel Kenntnis des indischen Geistes
und unter Umständen auch viel Geld und eine Haut wie ein Rinozoros.

Die beste Lösung für Indien ist dort eine gebrauchte Enfield zu kaufen
und sie bei der Abreise wieder zu verkaufen. Dafür kann man in jedem
Kaff Ersatzteile besorgen und auch größere Reparaturen ausführen
(lassen, billig und oft erstaunlich gut und kreativ). Außerdem
erscheint sie dann NICHT in deinem Paß, und das kann nur von Vorteil
sein. 

Als erstes nach dem Kauf muß man die Vorderbremse meistens
instandsetzen. Vorderbremse gilt bei den meisten indischen Fahrern als
Einwegticket über den Lenker ins Nirwana und sie wird grundsätzlich
abgeklemmt. Zu beachten übrigens beim Bremsweg von den anderen
Motorradfahrern... Überhaupt, der indische Verkehr. Aber wenn du die
Gelassenheit eines Yogis, die Reflexe eines Mick Doohan, die Intuition
eines Hellsehers und die Unerschrockenheit einer Felswand besitzt
solltest du keine größere Probleme damit haben.

Ich habe mal in Ladakh bei 3500m Höhe 2 völlig frustrierte Deutsche
mit einer FJ1200 mit Kolbenklemmer (Höhenluft) getroffen, die seit 2
Wochen festgesetzt haben. Neuer Motor? Machst du Witze, Sahib? Was
Sahib, sie haben Ihr teueres ausländisches Motorrad bei der Ausreise
nicht mit? Also haben Sie mit viel Gewinn verkauft! Was, sie haben
Bestätigung von der Polizei in Kulu Manali? So eine Bestätigung
kriegen sie vom Dorfpolizisten für 10 Rupees, jetzt können Sie mir den
Gegenwert der Maschine und den Gewinn auszahlen, sonst laß' ich Sie
verhaften wegen versuchten Import-Export-Betruges!

Alles klar? Auch solche Situationen lassen sich mit Geschick relativ
leicht und billig meistern aber man muß einiges an Indien-Erfahrung
haben bevor es gelingt. In Vergleich zu Deutschland ist der Umgang mit
Beamten und Gesetzeshütern dort eher mit Wackelpudding als einem
Stahlgewitter zu vergleichen, aber es will eben gelernt werden, diesen
Pudding and die Wand zu nageln.

Schnellfahren in Indien ist eh nicht. Dort ist eine Enfield eine Big
Bike und eigentlich fast übermotorisiert (aber trotzdem nix für zu
zweit, unbedingt jeder seine eigene Maschine, sonst wird die Reise
eine Tortur). Auch auf guten Straßen (=Abschnitte von 500 Metern wo
die Schlaglöcher zu klein sind um Namen zu haben) ist es durchaus
möglich, daß hinter einer Ecke ein gerade ausgehobener und
unmarkierter Graben von, sagen wir, 2 Meter Tiefe und ebensolcher
Breite über die ganze Straße verläuft. Geschehen bei mir mitten in der
Nacht auf der Straße von Goa nach Bombay. Da die unbeleuchtete Straße
ungefähr die gleiche Schwarze hatte wie die des Lochs hatte ich
höllisches Glück, rechtzeitig zum Stillstand gekommen zu sein.

Ernsthafte Verletzungen in der Wallachei von Indien will man absolut
nicht erleiden. Rettungsdienst ist nich'. Da die Fußgänger in Bombay
und Calcutta um die Sterbenden und Leichen einfach herumgehen warum
sollen sie sich Aufhebens machen über einen dahinblutenden westlichen
Teufel, der es karmisch sowieso verdient so zu sterben? Eigentlich tun
sie dir doch einen Gefallen wenn sie dich sterben lassen, da es dir in
deinem nächsten Leben nach dieser Läuterung dann besser geht. Und
ausserdem erbt man dann dein Walkman, deine Levis und dein Motorrad.
Das ist alles kein Witz, sondern eine andere Wirklichkeit mit der man
sich auseinandersetzen muß, um in Indien auf Dauer klar zu kommen.
Kulturschock ist für die meisten unvorbereiteten Westler
vorprogrammiert. (Westler ist übrigens nicht gleich Wessi sondern
bedeutet einer, der von Europa oder Amerika stammt...)

Ich will' dich nicht abschrecken, aber ich will unbedingt, daß du
realistisch an die Sache herangehst. Ich liebe Indien
merkwürdigerweise heiß und innig und kann es immer kaum erwarten,
wieder dahin zu kommen. Aber ich habe zu viele Westler gesehen, die
sich völlig unvorbereitet ins Abenteuer dort gestürzt haben und sich
zumindest ziemlich unglücklich gemacht haben. Man muß bereit sein,
sich mit einer wirklich *völlig* fremden Kultur, ganz extremen Klima,
großen Problemen mit der Nahrung und Gesundheit und tausend anderen
Sachen auseinanderzusetzen. 

Das braucht vor allen Dingen *Zeit*. Alles läuft dort viel langsamer,
alles was man erledigen will, auch anscheinende Kleinigkeiten, braucht
viel, viel Zeit. Für so eine Reise wären 6 Wochen das absolute
Minimum, besser wären 3 Monate oder mehr. 2-3 Wochen braucht man beim
ersten Mal, um sich überhaupt zu akklimatisieren. Geld ist nicht das
Problem. Mit tausend Mark pro Monat lebt man wie ein König, weniger,
auch viel weniger, geht immer. 

Eigentlich würde ich dir dringend raten, als erstes eine kurze Reise
auf eigenem Fuß nach Indien OHNE Mopped zu machen (keine
Pauschalreise). Mieten geht übrigens auch immer zum Ausprobieren.
Einfach rumfragen, es findet sich immer jemand der sein Moppel für ein
paar Rupees verleihen will. Reinschnuppern, den Geschmack des Landes
auf der Zunge zergehen lassen, sich ins Fluß des Lebens dort
einfühlen, den kreativen Umgang mit korrupten, widerspenstigen und
gelegentlich auch erstaunlich hilfreichen und bezaubernden Polizisten,
"Zöllnern" (die es auch mitten im Subkontinent gibt...) und anderen
Mützenträgern lernen. Dann bist du gewappnet für größere
Unternehmungen. Bücher helfen, aber nur bedingt. Indien ist wie
Fahrradfahren, Schwimmen oder die Liebe, den Umgang damit kann man
nicht aus Bücheren oder von anderen Lernen. Man muß einfach
hineinspringen und vertrauen, daß irgendwo da unten im schimmernden
Abrund ein Netz gespannt ist.

Meistens ist es nämlich so...

Gruß,
Tim
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