From: Joerg Kruhl, kruhl@mbox.ikw.uni-hannover.de
Subject: 'Beifahrerinnen'
Date: 18 Jul 1996 12:29:20 GMT
Organization: Institut fuer Angewandte Waermetechnik der Universitaet Hannover

Halli Hallo,

vor einigen Zeiten wurde hier Teil 1 von Burkhard Strassmanns Motorradkunde 
gepostet.
Heute las ich in der ZEIT (http://win.bda.de/bda/int/zeit/) den zweiten Teil 
mit dem Thema 'Beifahrerin'.
Auch auf die Gefahr hin, dass der Artikel dem ein oder anderen bekannt ist 
(z.B. Olaf Erkens !?), poste ich diesen heute.
Also viel Spass dabei, vor allem auch Euren Sozia ..... .

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Burkhard Straßmanns Motoradkunde, Folge 2:

 Der Mann. Die Maschine. Schwarzes Leder. Schwarzer Lack. Er reißt das Gas 
auf. Sie jubelt. Wer wollte sich dazwischendrängeln!? Die Beifahrerin.

 Puristen unter den Motorradfahrern sind Solofahrer. Sie interessieren sich 
nur für die eine. Sie kaufen sich ein Motorrad, das für die andere keinen 
Platz hat. Ein Motorrad mit Einzelsitz, auch "Einzelsitzbrötchen" genannt. 
Der Solofahrer lebt den Traum von der Verschmelzung in höchster Konsequenz. 
Von diesem Traum lebt die Motorradindustrie. Sprechen wir es offen aus: Es 
geht um Sex. Puristen mit Einzelsitzbrötchen werden von anders Orientierten 
gern als "arme Würstchen" verlacht.

 Die anders Orientierten sind in der erdrückenden Überzahl. Sie denken bei 
"Sex" nicht nach unten, sondern nach hinten. Hinten sitzt die andere, die 
Beifahrerin, "Sozia" oder "Braut" genannt. Alle Beifahrerinnen dieser Welt 
haben gemeinsam, daß sie meist keine Bodenturnerinnen sind und doch eine im 
Alltag kaum vorkommende Grätsche beherrschen. Zweitens verbrennen sie sich 
unablässig Schuhe und Waden an der glutheißen Auspuffanlage. Wohingegen sie 
sich obenherum meist erkälten, weil Windkanalversuche mit Motorrädern nur 
von Männern durchgeführt werden. Viertens macht es bei jedem Bremsen 
"klack", weil die Helme aneinanderstoßen. Fünftens sind sie enorm 
opferbereit. Das sind aber auch schon alle Gemeinsamkeiten.

 In unserer kleinen Typologie der Beifahrerin betrachten wir zunächst die 
Hochaufragende. Sie sitzt, aus der Fahrerperspektive, unnahbar fern hinten, 
hart am Gepäckträger, reglos, ja unbewegt. Krampfhaft umklammert sie den 
Halteriemen, ein lächerliches Relikt aus der Zeit, als Motorräder zum 
Transport von Hintermännern benutzt wurden, die ein Problem damit hatten, 
den Fahrer anzufassen. Die Hochaufragende würde niemals auf den Gedanken 
kommen, des Fahrers Lenden zu umfassen, obwohl der Fahrer das gern hätte. So 
aber hat er die Beifahrerin bald ganz vergessen und staunt beim nächsten 
Tankstopp nicht schlecht, daß er nicht allein ist.

 Ganz anders ergeht es ihm mit der Redseligen. Sie redet ohne Unterlaß über 
den Beruf oder das Fernsehprogramm, auch über Politik, als säße man in einer 
Limousine. In Wahrheit säße sie gern in einer Limousine und überspielt mit 
dem Reden ihre Todesangst. In Kurven kneift sie den Fahrer wie scherzhaft in 
die Seite, tatsächlich aber ist es schmerzhaft. Wenn sie absteigen darf, ist 
sie so begeistert, daß der Fahrer glauben muß, ihre Begeisterung beziehe 
sich aufs Fahrerlebnis.

 Gefürchtet ist die Kundige. Sie hat in aller Regel Physik studiert und 
wirft ihren Körper furchtlos in jede sich bietende Kurve. Der Fahrer ist 
vollauf damit beschäftigt, das Gleichgewicht wiederzufinden und schlimmste 
Stürze zu vermeiden.

 Der Inbegriff der Beifahrerin jedoch, der Traum der Pubertierenden, der 
tiefere Sinn jeder Doppelsitzbank, oft sogar der geheime Grund, ein Motorrad 
zu kaufen: Das ist die Hineinkriechende. Sie schmiegt sich mit jedem 
denkbaren Körperteil an den stolzen Herrscher über 100 PS und gibt sich 
allen Dreh-, Trägheits- und Aufrichtmomenten der Maschine hin. Dabei umfaßt 
sie seine Hüften derart liebevoll und intim, daß er gelegentlich scheu um 
sich blickt. Der Hineinkriechenden begegnet man enttäuschend selten.

 Sicherheitstechnische Erwägungen sprechen eindeutig für einen letzten 
Typus: den nassen Sack. Diese Form der Sozia hat kein Vertrauen in den 
Fahrer und schimpft über seine Fahrweise. Sie würde, wenn sie "den Lappen" 
hätte, ohne Zweifel vorn sitzen. Unterwegs wird sie durch hektische 
Bremsmanöver und tolldreiste Überholvorgänge so lange provoziert, bis sie 
sich resigniert in die Sitzbank "sacken" läßt und des Endes der Ausfahrt 
harrt. Jetzt sind ihre Reaktionen wunderbar neutral, gerade so wie die eines 
nassen Sacks. Der Fahrer wird weder physisch noch psychisch irritiert. 
Herrlich! Im Grunde handelt es sich um einen Solofahrer mit Gepäck, also den 
oben skizzierten Idealtypus.

 Es darf hier nicht verschwiegen werden, daß es auch Motorradfahrerinnen 
gibt, sogar solo, aber auch mit Beifahrerin und in Einzelfällen selbst mit 
Beifahrer. Vereinzelt trifft man noch Einheiten mit zwei hintereinander 
sitzenden Männern an. Doch welche Kombination man auch betrachtet: Es geht 
um Sex.


Quelle: Die Zeit, aktuelle Ausgabe