From: Axel Blum, ablum@post.klinikum.rwth-aachen.de
Subject: Schottlandbericht Teil 2 (saulang)
Date: Fri, 18 Jun 1999 18:03:59 GMT
Organization: Institut für Med. Informatik

Liebe Zielgruppe,
nachfolgend der zweite Teil des Reisberichts. :-)

30.5.99-4.6.99

Am nächsten Morgen war das Fieber zum Glück weg, ich fühlte mich aber
noch ziemlich schlapp. Nach einer sehr netten Verabschiedung durch die
Hotelbesitzerin gings weiter über eine phantastische Strecke Richtung
Norden. Das Wetter war sonnig, aber ziemlich kalt, so daß wir beide
ziemlich dick eingepackt mit angeschlossenen beheizbaren Handschuhen
unterwegs waren. Die Handschuhe haben sich überhaupt sehr bewährt.

Nach mehreren Warnung Einheimischer sind wir entschlossen, auf dem Weg
nach Kintyre Glasgow zu vermeiden. Zunächst gings über Ayr nach
Irvine, von dort über Grenoch nach Gaurock. Die Strecke führte fast
ständig am Meer entlang und war - schon wieder - wunderschön, wenn
auch mit etwas weniger Kurven. Von Gaurock nehmen wir die Fähre nach
Dunoon und vermeiden so völlig, mit Glasgow in Berührung zu kommen.
Von Dunoon aus fahren wir - wieder über phantastische Nebenstrecken
und unsere erste längere Single-Track-Road - nach Inveraray. Als wir
an der Tankstelle nach einem B&B fragen, wird uns das
"Claonairgh"-House empfohlen - eines der absoluten Highlights der
Reise. Das Haus liegt etwa 2km hinter Inveraray Richtung Campelltown
etwas ab vom Wege, ist aber beschildert. Es liegt mitten in einer
hügeligen Wiese an einem wilden, kleinen Fluß (zum Gelände gehören
insgesamt 9ha) und ist von Enten, Gänsen, Ziegen, Hunden und Hühnern
umgeben. Die unglaublich nette Familie Corner hat das Haus seit 1991
aus einem ruinenartigen Zustand einmalig renoviert, so daß es fast
wieder wie das Farmhaus aus dem 17. Jh. aussieht, das es einmal war.
Die Unterkünfte unter dem Dach heißen "The Hobbit" oder "Pu, the Bear"
und sind wunderschön ausgestaltet. In "The Hobbit" hängen Bilder aus
dem Herrn der Ringe an der Wand und eine zerlesene Ausgabe liegt auf
dem Nachttisch. Zunächst wollen wir aber nach der langen Strecke nur
noch ins Bett. Wir schaffen es gerade noch, den
Frühstückswunschzettel(!) zum Ankreuzen auszufüllen.

Am nächsten Morgen versuche ich das "kontinentale" Frühstück, Bettina
hat eine gebratene(?) halbe Pampelmuse. Es gibt u. a. selbgemachtes
Müsli usw usw. - phantastisch. Einer der Gründe, warum Schottland so
gut zum Motorradfahren ist: Das Frühstück hält _lange_ vor. *vbs*

Wieder ohne Gepäck gehts los, die Halbinsel Kintyre zu erkunden. Also
zunächst Richtung Campelltown und dann auf die Nebenstrecke zum Castle
Skippness. Nach einer endlos langen (und schönen) Singletrackroad
liegt die Burgruine scheinbar am Ende der Welt mit einem wunderbar
malerischen Blick auf die Insel Arran (die wir diesmal nicht
mitgenommen haben, was aber beim nächsten mal korrigiert wird). Nach
ausgiebiger Besichtigung der - oh Wunder - touristisch nicht
erschlossenen Burgrouine und der alten Kapelle gehts weiter über die
Singletrackroad Richtung Campelltown. Die Strecke ist schon wieder
super, erfordert allerdings auch erhebliche Konzentration und
fahreriches Können. Als wir in Campelltown (ein Kaff am Ende der Welt)
ankommen, sind wir völlig fertig und stärken uns erstmal in einem
nichtnennenswerten Schnellimbiss.

Zurück gehts über die - schon wieder unglaublich malerische und völlig
leere - Hauptstrecke, die geradezu zum Suchen der Ideallinie einlädt.
Wie üblich bei unkritischen Strecken fahren wir unabhängig. Nachdem
ich eher fahren und Bettina eher photographieren will, probieren wir
Papis(?) Taktik aus: Wir verabreden ein gemeinsames Ziel und ich kann
ein bißchen Ideallinie suchen und Bettina kann soviel bummeln und
Bilder machen, wie sie will. Dieses Vorgehen hat sich in Schottland
immer wieder zur beiderseitigen Zufriedenheit als positiv erwiesen.

Als wir endlich wieder bei Corners eintreffen, sind wir völlig fertig
und wollen nur noch ins Bett. Lerneffekt: Wenn man Strecken mit
längeren Singletrackroads hat, sollte man sich auf das höhere Maß an
Konzentration einstellen. Wir sind insgesamt gerade mal 244km gefahren
und waren beide völlig kaputt, trotzdem die Nebenstrecke viel Spaß
gemacht hat.

Am nächsten Tag sollte nun Inveraray besichtigt werden. Wieder ohne
Gepäck gings zunächst in die Stadt, dann zum Castle. Achtung: Das
Castle liegt fast 2 km hinter der Einfahrt und man kann ganz bis ran
fahren. Wir sind wie viele Besucher die ganze Strecke in
Lederklamotten bei strahlendem Sonnenschein gelatscht und waren am
Schluß gut gegart. Wenn man ein Clan- und Schloßfan ist, sollte man
sich das Castle ansehen, wir fanden beide dieses Märchenschloß mit
seiner Campell-Clan-Idiotie nicht so toll.

Eher durch einen Zufall entdecken wir in einem Nebengebäude die von
Veteranen gegründete Ausstellung "Combined Forces" über das Training
der ersten Soldaten für kombinierte Einsätze Luftwaffe/Marine/Heer
hier in Schottland im 2. Weltkrieg. Die Ausstellung sollte man
unbedingt mitnehmen, sie ist wesentlich authentischer, als alles, was
man im Schloß zu sehen kriegt!

Danach war das - mehrfach preisgekrönte - Gefängnismuseum dran. Hinter
dem ehemaligen Rathaus, in dem man sich in einen alten Gerichtssaal
setzen und Verhandlungen früherer Jahrhunderte folgen kann kommt man
in einen Hinterhof, in dem links das ehemalige alte Stadtgefängnis mit
8 Zellen und daneben das - auch schon 200 Jahre alte - neue Gefängnis
mit 16 Zellen besichtigen kann. Ich möchte nicht schon alle
Überraschungen verraten, aber: Wer in die Ecke kommt sollte unbedingt
dieses Museum mitnehmen!

Abends geht's dann noch zum King George, wo es genießbares Essen,
wunderbares Bier und tolle Stimmung im zugehörigen Pub gibt.

Am nächsten Morgen gings nun - wieder ohne Gepäck - zur Norderkundung.
Es war mal wieder strahlender Sonnenschein, so daß wir - schwerer
Fehler - beide mit Sommerhandschuhen und Lederhosen statt mit
Goretexhosen aufbrechen. Zunächst gehts zur Glencoe-Schlucht, die
Strecke ist mal wieder phantastisch, malerisch usw. Weiter gings zu
GB's höchstem Berg, dem Ben Nevis, den man leider nicht so ohne
weiteres mit dem Motorrad hochfahren kann. Wer kann, sollte bei diesem
Reiseziel Ft. William vermeiden. Der Ort ist, vorsichtig ausgedrückt,
"touristisch gut erschlossen" und man fährt ewig im Schneckentempo an
Hotel nach Hotel vorbei. Wir sind in der Nähe des Ben Nevis noch mit
einer Seilbahn auf einen der Nachbarberge gefahren, was ganz nett war,
mehr aber auch nicht. Auf der Rückfahrt fings zur Strafe für unseren
Leichtsinn stark an zu regnen und es wurde gleichzeitig auch ziemlich
kühl. :-(( Das Abenteuer fing aber gerade erst an ...

Auf der Brücke vor unserem B&B bleibt Bettina plötzlich mitten auf der
Straße im Regen stehen. Nachdem ich mich umgedreht habe und sehe, daß
sie keinen Blödsinn macht, stellt ich die AT ab und gehe zu Ihr
zurück. Aus der Nähe sehe ich, daß sich die Kette der KLE in einer
unschönen Girlande fast bis auf die Straße streckt. Kettenbruch??
Zunächst bringe ich einen riesigen LKW zum stehen, der hinter Bettinas
quer über der Fahrspur stehender Maschine auftaucht und der Fahrer
hilft uns, die KLE trotz des blockierten Hinterrades bis an das
Brückengeländer zu wuchten. Dann schleichen wir wie zwei begossene
Pudel ins Haus. Ende des Urlaubs?

Im Flur treffen wir Gerrit, den Mann unserer B&B-Familie, der uns nach
unserer Tour fragt. Als wir meinen, wir wollten mit Ende des Regens
nach der Maschine sehen, sagt er "so maybe you've had to wait 3 weeks"
und fragt wo die KLE stände. Als er hört, daß sie nur ca. 100m
entfernt steht meint er sofort, er würde schnell den Anhänger ans Auto
machen und wir würden die Maschine holen. Während Bettina noch den
Schlüssel von oben holt, steht sein Peugot mit einem kleinen Anhänger
schon vor der Tür, wir sausen zu zwei los, wuchten die Maschine auf
den Anhänger und transportieren sie in einen dem Haus
gegenüberstehenden Rohbau, wo Corners ab kommendem Jahr ein
Selbstversorgerhaus aufziehen wollen. Nachdem ich mein Werkzeug geholt
habe, nehmen wir den Seitendeckel der KLE ab. Ergebnis: Das vordere
Ritzel hat sich von der Achse gelöst, ist dann von der Kette
mittransportiert worden und hat sich zwischen Kettenausgang und
Motoraufhängung verkeilt. Nichts geht mehr?

In den nächsten 2 Stunden müht sich Gerrit wie ein Verrückter ab, das
Ritzel abzubekommen (dabei habe ich verstanden, warum Gerrit als
selbständiger Elektriker keinen Gesellen hat - der käme bei Gerrit's
Arbeitstempo zu nix. Wenn man Glück hat, kann man noch das Werkzeug
anreichen). Schließlich ist das Ritzel raus und der ganze Schaden zu
besichtigen: Am Ritzel fehlt ein Zahn und die Kette ist an drei
Gliedern stark beschädigt. Grund: Der SCHWACHSINNIGE, der bei Kawasaki
die Befestigung des vorderen Ritzels entworfen hat: Die Achse selbst
ist geriffelt und das Ritzel wird passend auf die Ritzelung
aufgeschoben. Die Riffelung besitzt eine ca. 3mm breite Aussparung. Um
das Ritzel zu fixieren wird nun ein _sehr_ dünnes, passendes Blech
ebenfalls auf die Achse geschoben, auf der Aussparung der Achse
verschoben, so daß die Innenzähne ein abrutschen von der Achse
verhindern und dann mit zwei Schrauben auf dem Ritzel fixiert. Im
befestigtem Zustand läßt sich das Ritzel somit noch im Bereich einiger
mm bewegen was - logischerweise - zu einer ständigen Beanspruchung des
Blechs führt. Da es sich um ein sehr dünnen und keinesfalls ideal
passendes Blech handelt, biegt es sich natürlich irgendwann durch.
*grrr*

Bettinas Blech war kaum noch als Halterung zu erkennen. Gerrit war
nicht zu halten und klopfte zunächst die Kettenglieder halbwegs
zurecht. Anschließend schob er das Ritzel wieder auf und fixierte es
mit einer passend zurechtgebogenen Unterlegsscheibe - die Maschine
fuhr tatsächlich wieder trotz des fehlenden Zahns und trotz der
lädierten Kette! Aber woher jetzt schnell die richtigen Ersatzteile
kriegen? Nach tausend Dank an Gerrits Adresse wollten wir jetzt aber
erstmal warm werden und ins Bett.

Als wir am nächsten Morgen gefrühstückt haben, versucht Bettina
zunächst, bei BMW Kohl in Aachen, wo die KLE gekauft wurde, jemanden
zu erreichen. Sie hatte die Maschine damals mit der "AC mobil
Garantie" gekauft, die eigentlich Schäden auf Grund von fehlerhaften
Teilen abdecken sollte. Nachdem wir längere Zeit niemanden erreichen,
stellt sich heraus, daß in D Feiertag ist. Schließlich hebt doch
jemand ab, der uns nach Rückfragen verkündigt "solche Leistungen
würden von der Garantie nicht abgedeckt". Soviel zum Thema "AC mobil".

Während der Telefonate in Corners gemütlicher Wohnküche erzählt mir
Gerrit, daß er früher DT gefahren ist (unter anderem quer durch sein
großes Gelände mit Fluß und Hügeln, eine Vorstellung, die
wahrscheinlich jedem Hardenduristen ins Träumen bringen dürfte - 9ha
eigene Cross-Strecke!). Ich hatte ihn gefragt, weil mich wunderte, daß
er über Kettenspannung Bescheid wußte. Nach Bettina's Fehlschlag wurde
er unverzüglich aktiv und fand für uns binnen kurzem eine Firma, die
uns am nächsten Tag das Ritzel, die Kette und die Befestigung
zuschicken wollte. Wenn ich hätte Preise für das hilfsbereiteste B&B
hätte vergeben können, Corners hätten einen gekriegt. Da wir in den
letzten Tagen schon die ganze Umgebung erkundet hatten, wurde an
diesem Tag dann fast nur noch gelesen. Zumindest schien Land in Sicht.

Am nächsten Morgen kommt dann auch tatsächlich das Ritzel und die
Halterung, aber - keine Kette! Wieder lange Telefonate von Gerrit,
Ergebnis: Die Kette war zwar mit einem 24h-Werktag-Service versandt
worden, da aber heute Freitag war, könnte es sein, daß die Kette erst
Montag kommt. Laune im Keller. Gerrit schnappt sich wieder den Höhrer
und treibt einen Motorradhändler in Glasgow auf, der eine passende
Kette dahätte, diese aber erst kürzen müßte. Mir schwant übles bei dem
Wort kürzen und wir beschließen, zunächst die alte Kette auszubauen
und mit dieser dann nach Glasgow zu fahren, nachdem uns Gerrit
glaubhaft versichert hat, daß der Händler direkt an der Einfallsstraße
läge und wir ihn schon finden würden.

Der Ausbau der Kette dauert dann mit Gerrits Hilfe nochmal über eine
Stunde, da bei der KLE der Ausbau der Hinterschwinge erfordert das
halbe Motorrad auseinanderzunehmen. Zu zweit geht es dann mit der AT
nach Glasgow. Die Sonne strahlt und ich habe diesmal zwar die
Goretexhose an, jedoch nur Sommerhandschuhe ...

30 min später hagelt es, ist schweinekalt und naß. Der Hagel geht in
Regen über, als wir in Glasgow ankommen, ist wieder strahlender
Sonnenschein. Typisch schottisches Wetter eben. Mein subjektiver Rat:
Leute, meidet Glasgow wie die Pest! Das ist kein Stadtverkehr, das ist
Wahnsinn! Was waren wir froh, auf dem Hinweg Glasgow vermieden zu
haben. Stop and go im Schritttempo über 4km, eine chaotische,
unübersichtliche Verkehrsrreglung und endlich, endlich der
Motorradhändler. Übrigends spricht man in Glasgow nur beschränkt
Englisch, der dortige Dialekt ist annähernd unverständlich und dafür
wohl auch in Schottland berühmt. Der Laden ist eine Wucht, alles vom
Feinsten (u. a. Arai-Helme, Daytona-Stiefel, Bose-Zubehör usw.).
Nachdem wir uns endlich mit dem Verkäufer verständigen können
verschwindet dieser in der Werkstatt und kommt nach einiger Zeit mit -
einer DID-Kette mit Patentschloss wieder, die genau paßt!!! Strahlende
Gesichter. Bettina entdeckt beim Stöbern noch wasserdichte Socken
(gibts sowas überhaupt in D?), die, wie sich später herausstellt,
tatsächlich unglaublich gut funktionieren (Stiefel innen Pfütze, Füße
Knochentrocken!). Kosten allerdings 30 Pfund. :-))

Mit wesentlich gehobener Laune gehts wieder aus Glasgow hinaus und wir
gönnen uns ein typisch schottisches Essen (MacD*). "Zu Hause" bei
Corners wird die Kette montiert und wir haben wieder zwei voll
funktionsfähige Motorräder! Hurra!

Weiteres im 3. Teil ...

Tips soweit:
1. Die beheizbaren Handschuhe von Baehr waren in Schottland absolut
unbezahlbar. Nässe und Kälte waren kein Problem. Insbesondere nach
Nässe hatte man die Handschuhe in 20min vollständig (auch das Leder)
wieder trocken. Auf mehrere Paar Handschuhe wie in anderen Berichten
konnten wir gut verzichten.

2. Falls man mindestens 2* vorhat, eine Fähre zu benutzen (z. B.
Gaurock und Isle of Sky) lohnt es sich, ein Spezialticket für
Fährfahrten zu holen, was wir leider nicht taten.

3. Das Wetter in Schottland ist mehrheitlich schön, aber sehr
wechselhaft. Es empfiehlt sich, an der kältesten Möglichkeit
auszurichten und auch, wenn man bei warmem Wetter fährt, immer warme
Handschuhe mitzuhaben. Goretexsachen haben sich in Schottland
hervorragend bewährt.

Meint 
Axel.

P.S.: Adressen muß ich nochmal mit herbringen, werden nachgereicht.
--- AT '95, 30tkm; TA '89, 56tkm ---------------------
Axel Blum, AC, Germany, World.