From: Henning Weede, hweede@berlin.snafu.de
Subject: Re: Eine ganz normale Autofahrt..
Date: 12 Sep 1998 03:43:02 GMT
Organization: [Posted via] Interactive Networx

"Frank Werner"  writes in dsv:

>Morgens, 7.45 Uhr...es geht wieder los.

[... Larmoyanz eines Dosentreibers ]

Geht auch anders:

Eine ganz normale Fahrt.

Es ist 7.20, ich schnapp Helm und die Tasche mit dem Notebook und
renne auf die Strasse. Eigentlich sollte ich jetzt schon unterwegs
sein. Die 2 Minuten, bis die Tasche verstaut, der Sitz trockengewischt,
der Helm aufgesetzt und die Handschuhe eingefaedelt sind werden sich
spaeter wettmachen lassen.  Die naechstgelegene Kreuzung, um auf eine
ueberbezirkliche Hauptstrasse zu gelangen, ist dafuer beruechtigt,
dass sich rechts davor ein Taxistand befindet, von wo aus dauernd Taxis nach
links starten, d.h. sie stehen stundenlang diagonal auf der rechten
Spur und werden erst auf die linke gelassen, wenn die Ampel wieder rot
wird.  Wenn da kein Taxi quer steht, blueht ein Riesenstau, weil die
Leute zu bloed sind, 2spurig abzubiegen: der erste stellt sich vornean
vor die rechte Spur wenn von gegenueber ein Fussgaenger loslaeuft und
wartet, obwohl vor dem Fussgaenger die ganze Kolonne noch Zeit haette
abzubiegen, und der Platz vor der linken Spur dahinter ist damit
abgeriegelt und bleibt leer.  Diese Ampel spar ich mir heute (und
nicht nur heute), die naechste auch, sondern faedle mich durch den
Kiez parallel zu dieser Hauptverkehrsader.  Dass da meistens ein
Muellfahrzeug die Strasse blockiert juckt nicht, ein Meter Platz
reicht. Beim Erreichen der Hauptstrasse gruesst gaehnende Leere, die
Blechlawine ballt sich hinter mir an den soeben umschipperten roten
Ampeln.  Fahrbahn trocken? Kommt nichts, auch kein Fahrrad? OK:
GASSSSSS!!!!!  An der naechstn Kreuzung koente die Gruenphase noch zu
schaffen sein. Klappt heute nicht.  Gegenueber befindet sich rechts
ein beruehmtes historisches Bauwerk, und weil die preussischen Koenige
schon alle tot sind und eh keine Dose hatten wohnen da keine
Dosentreiber, die Parkspur davor ist demzufolge noch mit reichlich
Luecken gesegnet, bis die Touristenbusse kommen.  Sie wird in wenigen
Sekunden nuetzlich sein, um das stehende Mobiliar auf den beiden
Fahrspuren zu umzirkeln.  Wo die Bebauung wieder dichter wird, steht
konsequenterweise schon wieder ein Muellfahrzeug und halbiert die
verfuegbaren Spuren auf 1.  Dahinter eiert bekifft ein Dosentreiber,
der sich einbildet, er duerfe ohne zu blinken etwas anderes tun als
eben da anhalten.  Mit maximalem Abstand geht's an diesem potentiellen
Mordversuch vorbei auf die letzte Ampel zu, vor dem chaotischsten
Verkehrsknotenpunkt der ganzen Strecke. Die ist rot. Ein paar Dosen
bieten kein Hindernis, sich dazwischen ganz nach vorn zu schieben,
denn sonst hat man keine Chance, bei den naechsten beiden Ampeln noch
die Gruenphase zu erwischen.  Die Gruene Welle bewegt sich hier mit
einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h. Also Gang 'rein, Kupplung fast
schleifen lassen, messerscharf Ampel beobachten und: LOS!!!! Bloss
keinen Wheelie bauen, aber das Vorderrad immer kurz vorm Abheben
lassen. Hinter der noch gruenen naechsten Ampel rollt fast lueckenlos
Querverkehr, manche bleiben sogar noch stehen und glotzen
bloede. Alles Linksabbieger.  Also nicht mit der Lichthupe sparen, 20 m
vorher die Hupe gut festhalten - die Ampel ist schon fast dunkelgelb
- und genau den sichersten Punkt anvisieren.  Uff. Geschafft. Quer vor
mir wie immer irgendein LKW, der von links gekommen ist. Na? faedelt
der sich ganz rechts ein? Gott sei Dank nicht.  Die ganz rechte Spur
ist fast bis zur naechsten Ampel frei.  Wo sich wieder einmal
bewahrheitet, dass man sich erst dann zwischen die vordersten Dosen
klemmen sollte, wenn die zum Stillstand gekommen sind, damit sie nicht
auf dumme Gedanken kommen.  Gegenueber wird die ganz rechte Spur in
einer Stunde Busspur sein, aber da die Dosentreiberpopulation
ueberwiegend aus Analphabeten zu bestehen scheint ist die
vermeintliche Busspur gaehnend leer.  Chance, sich nach vorn
durchzuarbeiten. Mit einer mittleren Reisegeschwindigkeit von 60 kn
und in einer Flughoehe von 0 Fuss geht's dem naechsten Bezirk
entgegen. Wo der Stau wieder dichter wird laesst sich vorausahnen,
welche Ampel nicht mehr zu schaffen sein wird, so dass sich ganz
rechts vorn vor dem stehenen Verkehr ein angenehmes Plaetzchen bietet,
um bei gruen ungehindert weiterzukommen.  Dann der Abzweig nach links,
wo jeden morgen eine lange Schlange von Heimatlosen zu bewundern ist,
die auf der Strasse zu wohnen scheinen, wozu sonst stehen sie da
stundenlang herum und warten 3..4 Ampelphasen ab, um endlich
untertaenigst abbiegen zu duerfen. OK, frueher hab ich mich aufgeregt
ueber Schweine, die Fahrstreifenpfeile missachten, aber sehen wir das
mal pragmatisch. Wen juckt es, wenn ich gerdeaus weiterfahr und mich
vorne rechts neben den vordersten Linksabbieger klemmen.  Wann Zeit
ist, Gas aufzureissen, sollte eigentlich am Gegenverkehr abzulesen
sein. Der letzte Mohikaner gegenueber zuckelt so langsam vor sich hin,
dass er wohl rot hat. Hat er aber nicht - Scheisse - Notbremsung.
Nichts wie weg hier. Auf der Bruecke ueber den Berliner Old Man River,
also die Spree, kommt mir oft eine "Schwalbe" entgegen, deren Pilot,
mit einem pisspottartigen Geraet behelmt, sich mehr Fahrstabilitaet
verspricht, wenn er in der Kurve mit den Fuessen ueber den Boden
schleift. Heute vermiss ich ihn.  Der sorgfaeltig ausgetueftelte
Schleichweg fuehrt jetzt ampellos durch den Kiez, aber irgendwie
scheinen die Ampeln doch koordiniert zu sein, man muss sich beeilen um
die naechste noch zu erwischen.  Die allerletzte innerstaedtische
Strasse sollte eigentlich Zubringer zur Bundesstrasse stadtauswaerts
sein, aber sie ist erbaermlich schmal.  Dafuer verlaeuft sie
schnurgerade und zum Schluss ohne Querstrassen.  Am Ende liegt die
letzte fette innerstaedtische Kreuzung, die Ampel ist noch rot.  OK,
God s(h)ave the Queen, hier ist der ehemalige britische Sektor, die
Englaender fahren doch auch alle links, also geht das klar. Bis der
vorderste Schnarcher aufgewacht ist und der Gegenverkehr den Hauch
einer Bewegung erahnen laesst bietet sich reichlich Platz, um zu
kontinentaleuropaeischen Fahrgewohnheiten zurueckzukehren.
Uff. Endlich stadtauswaerts auf der Bundesstrasse.  Die genehmigt man
sich mit 140, das muesste reichen.  Die Richtungsfahrbahn reicht fast
aus, um ohne die Mittellinie zu ueberqueren gelegentliche Hindernisse
hinter sich zu lassen.  Hinter dem ersten Dorf fuehrt die
(theoretische) Bundesstrasse durch eine stautraechtige Konfiguration:
man muss mit einem rechts-links-Manoever auf eine rechts parallel
laufende Landstrasse und ist dort wartepflichtig.  Stau entsteht da
genau dann, wenn das vorderste Arschloch auch dann wartet, wenn der
von links kommende Verkehr rechts blinkt, also abbiegen wird bevor es
zur Kollision kommen koennte.  Es koennte ja sein, dass das Blinken
gar nicht ernst gemeint ist, also geniesst besagtes Arschloch die
Macht, einen Stau zu produzieren.  Der Stau ist von weitem gut zu
sehen, ich moechte mir sowas heute wirklich nicht antun und rolle
stattdessen geradeaus weiter parallel zur Landstrasse auf den
Parkplatz eines Supermarktes, weiter ueber einen Anwohnerparkplatz, am
Ende durch einen Personendurchgang in einem Zaun und hole dahinter von
einer privaten Toreinfahrt aus das Einfaedeln in die Landstrasse
nach. Der Stau ist im Rueckspiegel gerade noch zu erkennen.  Nach
einer kilometerlangen Geraden, die fuer 140 taugt, folgt eine
besonders malerische Seenlandschaft. Nach dem Verlassen der
Bundesstrasse und vor dem naechsten Dorf kommt mir jeden Morgen ein
Bus entgegen, dessen Insassen mir leid tun. Hier jeden Morgen
fremdbestimmt mit dem Bus entlanggeschlichen zu werden - brrr -
grauenhaft.  Noch vor dem letzten Dorf zuckt mir 2mal kurz Lichthupe
entgegen.  Ja - sieh an - hier waechst heute morgen also Schnittlauch.
Die Herrschaften sind so beschaeftigt, dass sie meinen Guss nicht
mitbekommen, ein herzhaftes "Muuuuuh!" im Vorbeiflug.  Da! *BLITZ*
Scheisse! Die Kiste haengt fast vor meiner Nase, eine rote Leuchtdiode
ist noch an. Hmmm. Was tun? Schnittlauch kann das eigentlich nicht
direkt gesehen haben, zu weit weg, und geknipst hat mich das Ding
eindeutig von vorn, wo ich mich im Gegensatz zu den Dosentreibern
nicht mit einem Nummernschild zu verzieren brauche.  Um anzuhalten und
einen Lappen drueberzuhaengen ist leider keine Zeit.  Also weiter
durch die Allee.  Wenig spaeter rolle ich nach 30 min. bzw. nach 10km
Stadt- und 20km Landstrasse zufrieden und hellwach auf den
Firmenparkplatz und freu mich auf einen neuen interessanten Arbeitstag.

Henning