From: Heinz Bokel, bokel@tt.swb.de
Subject: Re: Motorrad und Polen
Date: Mon, 28 Jul 97 21:03:22 -0100
Organization: The Software Brewery

On Sat, 26 Jul 1997 13:09:20 GMT, Riemen wrote:

> Wer ist schon mal mit dem Motorrad noch Nordwest-Polen gefahren und
> hat Erfahrungen gesammelt, sch÷ne Ziele entdeckt und herausgefunden,
> wie man am besten unterkommt (lohnt es, ein Zelt mitzunehmen etc)

Hab' mal meine alten Notizen von 1992 rausgekramt. Vielleicht ist manches
noch brauchbar (die Anfahrt bis Rügen habe ich gekürzt):

27.8. Rügen, Kolberg (Polen)
Gegen 10 Uhr starten wir und reihen uns erneut in die Rüge-
ner Autoschlangen ein. Kaum hat man einen Pulk langsam fah-
render Autos und Caravans überholt, hat man den nächsten 
schon wieder vor sich. So zieht sich der Verkehr bis 
Stralsund. Dort verlassen wir die Bundesstraße 96 und fahren 
über kleinere Straßen Richtung polnische Grenze. Übergang 
von deutscher Seite ist das Seebad Ahlbeck und von polni-
scher Seite Swinemünde. Am Grenzübergang staut es sich zu-
rück - aber nur von Tagestouristen nach Polen, die einen 
Parkplatz suchen. Am Übergang selbst sind wir die einzigen 
motorisierten Touristen. Die Formalitäten sind problemlos 
und dauern Sekunden - das Überprüfen des Reisepasses, der 
Grünen Versicherungskarte und des Fahrzeugscheins. In Swi-
nemünde müssen wir die Fähre nehmen, um unsere Strecke ent-
lang der Ostsee zu finden. Während wir auf die Fähre war-
ten, wollen einige polnische Kinder unbedingt die Verklei-
dungsscheibe der K100 putzen (oder besser verkratzen), na-
türlich gegen Bezahlung. Nachdem auch wiederholtes "Nein" 
sie davon nicht abhalten kann, werden die Gesten etwas 
direkter; das hilft.
Auf recht guten Straßen fahren wir Richtung Kolberg, wo wir 
unser Nachtquartier für dei nächsten beiden Nächte finden. 
In einem Ostseebad, das fast ausschließlich aus Ferienheimen 
besteht, finden wir auf einem Campingplatz ein Zimmer.
Eine Wanderung am Strand verschafft uns den nötigen Apetit 
und nach einigem Suchen finden wir auch ein Restaurant - 
wahrscheinlich das einzige im Ort.

28.8. Kolberg/Pommersche Seenplatte
Herrlicher Sonnenschein, Besuch von Kolberg, Aussicht vom 
Leuchtturm am Hafen, Stadtrundgang (rege Bautätigkeit im 
Gebiet um den Dom, schöne, der Umgebung angepaßte Architek-
tur bei den Neubauten), Fahrt zur Pommerschen Seenplatte 
über Swidwin (Schivelbein), Bierzwinca, Gawroniec, Zlo-
cieniec, Czaplinek. In Czaplinek (im Zentrum der pommer-
schen Seenplatte) kaufen wir Brot für umgerechnet 0,50 DM 
und Wurst für 1,50 DM (diese Preise gelten vermutlich 
nicht mehr, der Sezzer) und fahren über Str. Drawsko, Polc-
zyn-Zdroj, Bialogard zurück nach Kolberg.
Merksatz des Tages: nachdem Du stundenlang kein anderes 
Fahrzeug gesehen hast, kommt der erste Gegenverkehr garan-
tiert dann, wenn auf Deiner Fahrbahnseite ein Hindernis 
auftaucht (Pommersche Variante von Murphy's Law).

29.8. Kolberg - Danzig
Die ganze Nacht über gibt es heftige Gewitter. Erst gegen 
morgen werden es weniger und nach dem wir gefrühstückt ha-
ben starten wir bei schönem Wetter Richtung Danzig.  Die 
Fahrt führt die landschaftlich schöne Kaschubei mit ihren 
Seen und sanften Hügeln. Es geht es auf der Landstraße 11 
nach Koszalin, weiter über die 6 Richtung Slupsk. Hinter 
Slawno verlassen wir die Hauptstraße und fahren über 
kleinere Straßen nach Bytow und weiter nach Kartuzy. Kurz 
hinter Kartuzy finden wir einen nahezu leeren Campingplatz 
an einem See rund 20km von Danzig entfernt. Nach einem 
recht ruhigen Nachmittag fahren wir noch nach Danzig. 
Zuerst zur Gdansker Werft, der ehemaligen Lenin Werft 
(jetzt privatisiert und erneut bestreikt), anschließend zur 
gut wieder aufgebauten Altstadt von Danzig.
Leichtsinnigrweise hatten wir uns ausgerechnet an einem 
Samstag eine Zeltplatz neben zwei Restaurants ausgesucht: 
zwei Familienfeiern - davon eine Hochzeit mit Schunkelmusik 
bis 5:00 morgens. Andere scheinen den besseren Riecher ge-
habt zu haben, denn wir waren die einzigen Camper auf dem 
Platz.

30.8.
Zum Ende der polnischen Sommersaison, wenn einige Strandre-
staurants schon schließen, unternehmen wir noch eine Rund-
fahrt an der Ostseeküste zu der Dreistadt Danzig, Zoppot 
und Gdingen. Das Wetter hat sich auf Sommerabschied einge-
stellt. Während der Hafenrundfahrt in Danzig zur Wester-
platte ist es nur bewölkt, aber ab Gdingen beginnt der Re-
gen.
Doch vorher besuchen wir noch Zoppot mit seiner berühmten 
Mole. Die 1928 gebaute und später erneuerte Mole ist die 
längste im gesamten Ostseeraum. Zur Zeit ist Musikfestival 
und mit Life-Musik im Hintergrund gehen wir bis zum Mole-
nende.
In Gdingen besichtigen wir das polnische Segelschulschiff 
Dar Pomorza und fahren dann weiter zur Halbinsel Hela. Zum 
Besuch des letzten Zipfels der Insel, des Ortes Hel, muß 
man durch mehrere Mititärkontrollen und einen Passierschein 
beantragen - eine Sache von Minuten.

31.8.
Heute gehts zum Umkehrpunkt unserer Zweiwochentour.
Erster Halt ist in Marienburg/Malbork, bekannt durch die Ma-
rienburg, die  im 13. Jahrhundert vom deutschen Orden ge-
baut wurde. Nach zweihundert Jahren unter der Herrschaft 
des Deutschen Ordens fiel die Stadt 1457 an die 
polnische Krone und diente dreihundert Jahre als Königs-
residenz, in der die polnischen Könige auf ihren Reisen 
zwischen Warschau und Danzig haltmachten. Nach den Teilun-
gen funktionierten die Preußen die Burg zu einer Kaserne um 
und fingen an, den Backsteinbau in eine Kaserne umzubauen. 
In den letzten Gefechten Jan.-März 45 weitgehend zerstört, 
von Polen ab 1950 wieder nach Originaldokumenten aufgebaut. 
Die Marienburg ist heute das größte gotische Bauwerk auf 
europäischem Boden. Wir schließen uns einer kleinen Gruppe 
von Deutschen zu einer Führung durch die Marienburg an . 
Abschluß ist der Aufstieg zum Burgtuirm, von dem wir eine 
gute Aussicht auf die Umgebung haben.
Weiter geht es Richtung Masuren, dem "Land der tausend 
Seen". Masuren hat eine sehr geringe Bevölkerungsdichte, 
ausgedehnte Wälder, unzählige Seen und Flüsse und ist eines 
der beliebtesten Urlaubsgebiete von Polen. Deutsche Touri-
sten treffen wir kaum an. Etwas abgelegen finden wir einen  
Campingplatz am See mit Nostalgie-Appeal (Plumpsklo, Geruch 
nach Holzfeuerheizung, stehende Hitze nach herrlichem Sommer-
tag). Dieser Campingplatz in Sorkwity ist der Ausgangspunkt 
für eine schöne Kanu-Strecke, die 90km flußabwärts im Bel-
dany-See endet. Die Strecke führt durch 18 Seen, die durch 
schmale Flußabschnitte verbunden sind.
Ein verhärmter Deutschpole, der aus 'Heimatgefühl' mit 
seiner Mutter nach dem Krieg in Masuren blieb, klagt uns 
sein Leid. Mutter gestorben (95 jährig), Lebensinhalt und 
Bleiberecht auf dem polnischen Hof dahin.
Nach kurzem Spaziergang am See wird die "Notration" Bohe-
neeintopf warm gemacht. Bevor es dann ins Bett geht, si-
chern wir uns (überflüssigerweise) mit reichlich Autan vor 
den Mücken.

1.9.92
Passend zum heutigen Datum (Antikrigstag in Erinnerung an 
den Überfall auf Polen) ist das erste Ziel die Wolfsschanze 
in Gierloz, dem ehemaligen Hitler-Hauptquartier. Von der 
riesigen Anlage aus wurde der Vorstoß der Deutschen in den 
Osten gelenkt.  Hier fand auch am 20. Juli 1944 das von 
Graf von Stauffenberg verübte Attentat auf Hitler statt, 
das dieser leider überlebte. Insgesamt umfaßte der Komplex 
rund siebzig Schutzräume und Baracken, die wichtigsten Bau-
ten waren jedoch die sieben schweren Bunker, die als Luft-
schutz-Bunker dienten: u.a. die Bunker Hitlers, Görings, 
Bormanns und der Gästebunker. Ein Rundgang durch die Frag-
mente der ehemaligen Bunker machen wir ohne Reiseführer.
Es sind nur noch Teile der 4-6 Meter dicken Außenmauern
zu sehen. 
Besichtigen kann man diese Bunker nicht, da sie größtenteils 
zerstört und vom Einsturz bedroht sind. 1945 hatte die ab-
ziehende Armee den größten Teil der Anlage in die Luft ge-
sprengt. Am 20. Juli diesen Jahres wurde eine Gedenktafel 
an das Attentat im Beisein der Stauffenberg-Söhne einge-
weiht.
Weiter geht es auf kleinen Nebenstraßen mit Kopfsteinpfla-
ster und Schotter nach Wegorzewo, wo wir einen Campingplatz 
suchen. Der erste den wir anfahren hat schon geschlossen 
(am 1. September beginnt in Polen wieder die Schule und die 
Saison ist zu Ende). Aber schon wenige Meter weiter ist 
noch ein größerer Campingplatz geöffnet und wir mieten uns 
einen feudalen Bungalow. Wir treffen 2 Motorradfahrer aus 
Berlin und erfahren, daß man zwar über Litauen nach Rußland 
einreisen kann, bei er Ausreise aber mit 20 Stunden Warte-
zeit rechnen muß. Außerdem sollte man wegen des dünnen 
Tankstellennetzes mindestens 40 Liter Benzin tanken können. 
Dies bringt dann Heinz, der immer noch geplant hatte, nach 
Rußland zu fahren, endgültig von seinem Vorhaben ab.
Eine letzte Rundfahrt führt in die Nähe der russischen 
Grnze - genauer gesagt bis zum 'Durchfahrt verboten' - 
Schild schon weit vor der eigentlichen Grenze.
Anschließend dann zum Gut Lehndorff und zur Pizza nach 
Lötzen. In einem der letzten noch real existierenden 
'Pemex'-Läden kaufen wir eine Flasche spanischen Rotwein. 
Als einzige Kunden stören wir drei Verkäuferinnen bei ihrer 
Langeweile (eine Türwächterin, eine Aushändigerin und eine 
Kassiererin). Im Nachhinein erweist sich der für polnische 
Verhältnisse teure Flascheninhalt als übergorener ungenieß-
barer Fusel.
Abends hat dann das Schlechtwetter von Westen (Schneefälle 
in den Alpen) auch Masuren erreicht und es regnet...

2.9.92
Während der ganzen Nacht hat es heftig geregnet - gut, daß 
wir eine Blockhütte gemietet haben. Trotzdem heißt es je-
doch morgens im Regen losfahren.
Zunächst nach Süden nach Glycko, Pisz (Johannisburg), dann 
nach Westen Szcytyno (Ortelsburg), Nidzica (Neiden-
burg),Dzialdowo (Soldau), Brodnica (Strasburg) bis nach 
Thorn (Thorun). Kurze Stadtbesichtigung, denn die Parkwäch-
ter in den Straßen achten auch Einhalten der Höchstparkdau-
er in den Innenstadtstraßen (1Std. für 30 Pfg.). Bei wie-
der sonnigem Wetter finden wir eine Unterkunft kurz hinter 
Thorn auf der Weichsel-Westseite; 40,- für eine phantasti-
sche Blockhütte mit allem Komfort.

3.9.
An der Weichsel bis Bydgosz (Bromberg), denn nach Westen 
Szubin, Wagrowiec (Wengrowitz), Oborniki, Szamotuly (Szam-
ter), Miedzyrzecz (Meseritz), Sulecin (Zielenzig). Nun auf 
die E30 bei Torzym, da wir auf den Nebenstrecken kein Re-
staurant finden. Das 'Marco' bietet uns trotz italienischem 
Namen uund Hintergrundmusik deftige polnische Kost.
Über Frankfurt/Oder (mit großem Bazar, vor allem PKW) 
geht's dann noch zu einem Abstecher nach Berlin.

4.9.
Bei relativ gutem Wetter (es regnet noch nicht) verlassen 
wir Berlin zu unserer letzten Etappe. Bis Magdeburg geht es 
über die Autobahn. dann verlassen wir sie und fahren bei 
beginnendem Regen über Landstraßen weiter. Allerdings so 
gut wie an dem Samstag unser Hinreise geht es in der Woche 
nicht. Die Straßen sind dem Verkehrsaufkommen nicht ge-
wachsen und laufend staut sich der Verkehr- vor allem in 
den Staädten, oder es gibt reichlich Umleitungen. Hinter 
Eschwege reicht es Heinz. Wir fahren auf die A4 Richtung 
Bad Hersfeld, doch nach wenigen Kilometern hat uns der Stau 
wieder. Bei strömenden Regen schlängelen wir uns an und 
zwischen den Auto vorbei. Die Ursache für den Stau sehen 
wir kurz hinter dem Kirchheimer Dreiechk auf der A 7: Ein 
LKW, der in die Mittelleitplanke gefahren ist wird gerade 
durch einen Kran geborgen, die Autobahn verengt sich hier 
von 3 auf 1 Fahrbahn. Wir sind wieder "daheim" ...