From: Dirk Straka, dirk@news.drb.insel.de
Subject: Gedrosselte vollverkleidete Neumopeds fuer Anfaenger (lang) (was: Re: Einfahren...)
Date: Thu, 24 Jul 1997 10:46:45 GMT
Organization: Dr. Brunthaler IITech GmbH, Germany

Hi Thomas Borovskis and all the rest of de.rec.motorrad!

Concerning "Einfahren...", you wrote:

> hmm...vielen Dank für die ernstgemeinten Tips am Anfang Deiner Ant-
> wort. Was ich nicht ganz nachvollziehen kann, ist Dein Seitenhieb
> mit "zu viel Geld" und "hat es nicht anders verdient".

Dann versuche ich es mal zu erklären ...

Die Anfangszeit beim Moped fahren ist vor allem dazu da, auf der einen
Seite Respekt vor dem Moped und seinen erheblichen Beschleunigungs-
und (gerade am Anfang) eher eingeschränkten Bremsmöglichkeiten auf-
und auf der anderen die Angst vor dem Fahren und der Ausnutzung und
Zunutzemachung(!) der (Fahr-)Physik abzubauen.

Und gerade letztere spielt beim Moped eine erhebliche Rolle:  Diese
dumme Physik hat der Fahrerei Grenzen gesetzt, die _deutlichst_ ober-
halb dessen liegen, was ein Newbie für möglich hält.  Weil die Biolo-
gie des Menschen (_dieses_ Menschen) von dieser Physik ganz und gar
keine Ahnung hat.  Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.  Und da
z. B. Schräglagen von mehr als 15 Grad im normalen Leben nicht vor-
kommen, hält der völlig Untrainierte (bzw. sein Körper) ebensolche
schlicht für unmachbar.  Obwohl sogar über 45 Grad möglich wären -
also deutlich mehr als das Doppelte.

Und das glaubt er so lange bis er oft genug erlebt hat, dass es eben
doch geht - und es dann irgendwann freiwillig und ohne Verspannung
oder Angst zu tun bereit ist.  Bis dahin aber wird ihn die (meist eher
unbewusste oder unterdrückte) Angst begleiten.  Die vor dem Ausrut-
schen, dem Aufsetzen, dem Aushebeln, Dreck auf der Fahrbahn, über-
schrittenen Haftungsgrenzen, Bremsen, der ungewohnten Situation und
weiss der Henker vor was allem noch.

Das unangenehme daran ist nun, dass man ein Moped nicht mit dem Kopf
fahren kann.  Ich kann mir tausendmal sagen "Tu dies, tu solches, tu
jenes", aber in dem Augenblick, in dem ich mich nicht dazu zwinge oder
abgelenkt werde oder vielleicht sogar Angst bekomme, tue ich genau
das, von dem der Körper weiss (oder besser:  glaubt), was gut für ihn
ist.  Und was der kennt ist eben per definitionem gut.  Weil alles
unbekannte, uralten Trieben gehorchend, immer erstmal schlecht ist.
Aber ob das dann auch das Richtige ist ...  besser wäre vielleicht
zum Beispiel das Moped weiter in die Kurve drücken.  Oder fester brem-
sen.  Oder eben wegwerfen das Ding und schliddern lassen, damit man
selber durchkommt.  Oder, oder, oder ...  aber der Körper, der das
nicht kennt, der tut's nicht.  Nicht nur das, er arbeitet einem ge-
fahrlosen Ablauf auch noch entgegen:  Er nimmt Schutzhaltung ein,
verkrampft, zieht sich zusammen - alles Dinge, die beim Moped fahren
absolut unbrauchbar sind.  In dem Zustand kann kein Mensch fahren.

Also trainieren.  Aber trainieren (oder besser:  lernen) geht auch
wieder nur, wenn man keine Angst hat ...

Mit anderen Worten:  Alles, was ablenkt oder gar Angst macht, ist
schlecht, macht es Dir schwerer, ein Bauchverhältnis zum Fahren zu
bekommen - und nur damit kann man ein Moped fahren:  Mit dem Bauch und
dem Hintern (dem Popometer, wie Eberspächer das äusserst treffend aus-
zudrücken pflegt).  Das Popometer, das ein äusserst geschwätziges Ding
sein kann (wenn man es lässt), ist aber zugleich ein sehr leiser Red-
ner.  Wenn man nicht genau hinhört - oder gerade nicht hinhören kann -
dann hört man gar nix.  Die Verbindung zum Moped und damit zur Strasse
reisst ab.  Rückkopplung gleich null, Lerneffekt gleich null.

Also muss man im Interesse des Lernens hergehen und so viele Angst-
und Ablenkfaktoren aus dem Wege schaffen wie nur irgendwie möglich
ist.  Versuchen, eine optimale Ausgangsbasis für das Training zu
schaffen.  Damit man vielleicht und gerade auch in Stressituationen
eventuell doch noch das eine oder andere vom Popometer mitbekommt.
Denn das Ding reagiert auf die geringsten Verkrampfungen mit eisigem
Schweigen.  Und das muss man verhindern.  Sonst fährst Du nicht mehr
mit dem Moped sondern das Moped mit Dir.

So kann sich dann allmählich das Gefühl für's Fahren entwickeln.  Der
Körper, der auf gutmütige Weise von der gefahrlosen(!) Möglichkeit von
Schräglagen über 20 Grad und der Harmlosigkeit eines beim Bremsen blok-
kierenden Vorderrades erfährt, der macht das irgendwann gerne.  Und
kann sich dann so langsam an Schräglagen über 30 Grad 'rantasten oder
an Stoppies oder sonstwas.  Aber für diese Entwicklung muss er sich in
den Anfangsstadien dieser Entwicklung erstmal gut fühlen.  Sonst geht
nix voran.  Das Risiko bleibt ewig lange so gross wie am Anfang, denn
wer sich z. B. nicht traut mehr als 20 Grad Schräglage zu fahren, der
gefährdet sich selber, weil er sich um erhebliche Sicherheitsreserven
bringt, deren Fehlen ihn wiederum vermutlich irgendwann in den Gegen-
verkehr oder den Graben bringen.

Ergo:  Je mehr Angst, um so länger und somit grösser ist das Risiko.

Nun zu Dir:  Du hast, statt Deine Ausgangsbasis zu optimieren, diese
zumindest im Bereich Mopedmaterial (es gibt noch ein paar mehr) denk-
bar schlecht gemacht.  Und zwar mit mehreren Dingen:

1.) Neumoped.

So ein Ding will eingefahren werden.  Das heisst, Du machst Dir wäh-
rend des Fahrens Sorgen über z. B. den Zustand des Motors.  Dass er
besonders rücksichtsvoll behandelt werden will.  Damit er auch schön
zieht und lange hält.  Weil, das ist ja während des Einfahrens beson-
ders wichtig.  Und und und ...  IOW:  Du bist abgelenkt.  Jetzt sag'
bitte nicht, dass man das kaum rechnen kann.  Beim Moped fahren zählt
_jede_ Kleinigkeit.  Und die unbewussten doppelt.

2.) Vollverkleidung.

Jeder Umfaller kostet ein Schweinegeld (nein, eher _noch_ mehr).  Du
wirst also besonders vorsichtig damit umgehen (wollen).  Hemmungen ha-
ben, an bzw. auch mal kurz über Deine Grenzen zu gehen.  Es könnte ja
was kaputt gehen ...  Du hast Angst, das teure Zeug zu beschädigen.
Und man kennt das ja, wenn man auf etwas ganz besonders achtet, z. B.
auf die volle Tasse mit heissem Kaffe, dann geht man besonders eirig.
Und schlabbern tut man doch.  Beim Fahren ist das nicht anders.  Im
Gegenteil, es ist noch schlimmer:  Anfängermopeds sind dazu da, umzu-
fallen!  Sie sind dazu da, in den Graben gefahren zu werden.  Und sie
_werden_ umfallen.  Alle!  Anders lernt man es nicht.  Oder eben we-
sentlich langsamer, was das Risiko dann über die Zeit wieder mindes-
tens ebenso gross, wenn nicht sogar _noch_ grösser werden lässt.  Ab-
gesehen davon, versuch mal einen Moped_fahrer_ (nicht Führerscheinin-
haber!) zu finden, der von sich mit Fug und Recht behaupten kann, noch
_nie_ umgefallen zu sein.  Sowas gibt's nicht.  Und schon gar nicht am
Anfang.  BTW:  Auch das lenkt vom Fahren ab!  Kostet Aufmerksamkeit.

3.) Vollverkleidetes Neumoped.

Wenn sich 1.) und 2.) addieren, potenzieren sich die Probleme.  Denn
es ist nicht nur die Angst davor, die teure Verkleidung kaputt zu
machen, nein, es geht noch weiter:  Das Zeug ist nicht nur teuer, son-
dern man findet es obendrein erhaltenswert schön!  Also _noch_ ein
Grund, Angst um die Unversehrtheit zu haben.  Und _noch_ mehr Auf-
merksamkeit für das Moped statt für's Fahren ...

4.) >100-PS-Moped

Ein solches auf 34 PS zu drosseln ist an sich schon ein Verbrechen (s.
a. den anderen Artikel bzgl. der 34-PS-ZZR1100 *würg*).  Und, sorry,
selbst Dir scheint aufgegangen zu sein, dass es ein Problem sein
könnte, einem solchen Motor eine derartige Misshandlung widerfahren zu
lassen.  Eben weil er ewig lange nicht so gefahren werden kann, wie er
gefahren werden muss, um sich "wohl zu fühlen".  Einen solchen Hoch-
leistungsmotor mit 34 PS zu fahren ist genauso grausam wie einen Fer-
rari ausschliesslich in der Stadt zu "bewegen".  Das schadet der Ma-
schine.  Sie setzt sich zu.  Wird jedenfalls niemals so fahren, als
wäre sie ihrer Solleistung entsprechend (ein-)gefahren.  Und auch das
weisst Du.  Und auch das lenkt Dich ab.


Und nun ist's vielleicht Zeit zu überlegen, ob man als Anfänger nicht
doch lieber erstmal ein gebrauchtes unverkleidetes Moped kauft.  Um
sich dann, nach zwei Jahren oder 40.000 km oder einer sonstwie gemes-
senen Menge an Erfahrung ein vollverkleidetes zuzumuten.  Und danach
dann, wenn man die zusätzliche Belastung durch die Verkleidung zu kom-
pensieren gelernt hat, mal an ein Neumoped zu denken.  Und ob man sich
gerade in der Anfangsphase, wo man sein äusserst begrenztes Kontingent
an Aufmerksamkeit viel viel dringender (und in _vollem_ Umfange) für
ganz andere, wensentlich wichtigere Sachen braucht, vielleicht doch
besser nicht dem Stress eines gedrosselten vollverkleideten Neumopeds
aussetzt.

Sicher, es ist schöner.  Aber (meist) nur kurz.  Und das Lernen we-
sentlich schwieriger.  Und langwieriger.  Und teurer.


Ich hoffe, mein "Seitenhieb", wie Du ihn nanntest, ist für Dich jetzt
etwas nachvollziehbarer geworden.

BTW:  Zum Thema Aufmerksamkeit kann ich Dir wärmstens Keith Code "With
a Twist of the Wrist" empfehlen (auf deutsch "Der richtige Dreh",
glaub' ich).  Da stehen u. a. dazu einige sehr interessante Dinge drin.
Solltest Du mal lesen.

P.S.:  Du wirst Dich wundern, wie schnell man für Verkleidungen 6-8000
       DM ausgeben kann.  ;-((  Und mit dem Gegenwert eines Porsche-
       Spiegels brauchst Du bei Deinem Händler gar nicht erst aufkreu-
       zen.  Den nimmt der Dir schon für ein einziges Seitenteil ab.

> Hast Du ne Ahnung, was schlimmstenfalls passieren kann, wenn ich
> mich nicht genau an die BA halte, sondern am Anfang auch in den
> 6.000er Bereich gehe? (Hab ich auf der Autobahn, nachdem der Motor
> schön warm war nämlich schon gemacht)

Mit schön warm hat das nix zu tun.  Warm sollte der Motor grundsätz-
lich sein, wenn man über 5000 rpm geht.  Während der Einfahrphase sol-
len sich die Motorteile _langsam_ aneinander "gewöhnen".  Unebenheiten
an den aneinander reibenden Teilen sollen sich aufeinander einschlei-
fen.  Und da unebene, aufeinander reibende Flächen eine deutlich
höhere Hitze produzieren als glatte und diese Hitze (und der Abrieb)
nicht so schnell abgeleitet werden kann, sollte der Motor nicht zu
hoch (ie zu schnell) drehen.  Ausserdem sollen die Belastungszustände
wechseln (also mit unterschiedlicher Drehzahl gefahren werden), damit
nicht zu lange dieselben Stellen belastet werden.  Auch hier wieder
wegen Wärme und Abrieb.

Wenn Du das nicht machst, dann können sich die Teile (typischerweise
Lager, Ventilsitze, Nocken, Kolbenringe etc.) unter der deutlich höhe-
ren Hitzeentwicklung verziehen (im eingefahrenen Betrieb, also dem, in
dem der Motor 99% seines Lebens verbringt, entstehen solche Temperatu-
ren nicht und deswegen sind diese Stellen nicht dafür ausgelegt).  Ge-
rade bei Lagern eine sehr unangenehme Sache, da man das erst deutlich
später merkt.  Dann nämlich, wenn der Motor 30 oder 40.000 km 'runter
hat.

Das wird natürlich schlimmer, je stärker man es übertreibt.  Die Folge
nach einigen tausend bis zehntausend Kilometern:  Motorschaden infolge
von z. B. eingelaufenen Kurbel- oder Nockenwellenlagern. 

Ich hoffe, das beantwortet Deine Frage.  Auch wenn es etwas länger ge-
worden ist.  Wenn man halt einmal in's Plaudern gerät ...  ;-))

-- 
Sincerely, Dirk Straka                    Due to email spammers, reply
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