From: Heinz Bokel, bokel@tt.swb.de
Subject: Unter Helmen
Date: Thu, 8 Aug 1996 20:46:21 GMT
Organization: The Software Brewery

Und wieder eine Folge der beliebten Serie  
"Unter Helmen - die Motorradkolumne" 
 
Teil 5: "Die Streckensperrung"  
 
von Burkhard Strassmann (c) DIE ZEIT 
 
Eine Strasse ist die kuerzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Im Prinzip.   
Diesem Prinzip stellen sich zum Beispiel Berge in den Weg, Aussiedlerhoefe   
und tausendj„hrige Eichen. Darum hat die Menschheit die Kurve erfunden. 
 
Die l„ngste Verbindung zwischen zwei Punkten findet man an den Stauseen   
unserer Mittelgebirge. Folglich auch die schoensten Serpentinen und   
dramatischsten Kurvenkombinationen. Weil ein Motorradfahrer sich ueberhaupt   
niemals fuer die kuerzeste, sondern immer fuer die kurvenreichste Verbindung   
zwischen zwei Punkten interessiert, nimmt er am Wochenende die Generalkarte   
zur Hand und sucht nach blauen Flecken im Mittelgebirge. Ein solcher blauer   
Fleck ist der Rursee in der Eifel. 
 
Kaum ist der Motorradfahrer am Ufer des Rursees angekommen, die Reifen sind   
warm, die Hueften locker, steht er vor einem Verkehrsschild: Fahrverbot fuer   
Motorr„der. 
 
Das Problem ist: Nicht ein Motorradfahrer nimmt am Wochenende die   
Generalkarte zur Hand. Auch nicht hundert. Tausende suchen nach Talsperren   
als Tagesziel, um dort zu finden, was der Motorradfahrer zu seinem Glueck   
braucht: Schr„glage. Besonders die armen Holl„nder kommen in hellen Scharen:   
Sie haben daheim weder Stauseen noch Kurven. Und es erzittern bei schoenem   
Wetter die sonst so verschlafenen Eifeltaeler von den dahindonnernden   
Motorraedern. Die Doerfler halten ihre Kinder im Haus. Ueber der Szene kreist   
der Rettungshubschrauber. 
 
Eines Tages rief ein Koelner Rechtsanwalt, dem es in seinem   
Wochenendhaeuschen in Woffelsbach am Rursee zu laut geworden war, bei der   
Bezirksregierung an. Seit Ostern ist nun die Strasse zwischen Woffelsbach und   
der oberen Staumauer fuer Motorraeder gesperrt. Samstags, sonntags und   
feiertags. 
 
Diese ploetzliche Ruhe in Steckenborn! Steckenborm liegt in der Hoehe, von   
hier stuerzt sich eine Strasse kurvenreich in die Tiefe nach Woffelsbach. Zu   
Hunderten preschten hier an Sommertagen die Motorraeder talwaerts. Auf dem   
Asphalt sind Sprueche zu lesen. "Nordschleife" zum Beispiel, "Suzuki-Kurve,   
Gas! Ab hier 160!" Oder: "Watzmann's 4. Weizen". Watzmann ist der anerkannt   
schnellste Steckenborner. Das vierte Weizen war zu viel. 
 
"Boxengasse" und "Fahrerlager" steht am Parkplatz mit Seeblick. Hier waren es   
immer vierzig, fuenfzig Motorradfahrer, die herumstanden und Kurvenlagen   
kommentierten. 
 
In diesem Teil der Eifel tragen die Leitplanken Schaumprotektoren. An den   
Strassenraendern stehen Kreuze fuer die Gefallenen. "Fahrt euch doch am   
Nuerburgring tot!" schlagen Einheimische vor. Der Nuerburgring liegt achtzig   
Kilometer suedlich. Sein Nachteil: Die Runde kostet 22 Mark. Am Rursee   
dagegen faehrt man kostenlos. Leider kann es hier manchmal Gegenverkehr und   
Fussgaenger oder Tiere auf der Fahrbahn geben. Das wird manchmal vergessen. 
 
Menschen, die gleichzeitig Motorradfahrer und Eifelbewohner sind, betrachten   
das Thema Streckensperrungen differenziert. Die Ruhe, natuerlich, ist schoen.   
Schoen auch, dass diese Verrueckten mit ihren 140 PS, den jaulenden   
Vierzylindern und von allen Schalldaempfern befreiten "Krawalltueten"   
vergrault werden, sobald sich das Fahrverbot herumgesprochen hat.   
Andererseits stehen auch fuer die Eifelbewohner Lieblingsstrecken auf dem   
Spiel. 
 
Betrachten wir Ernie aus Steckenborn. Sozialarbeiter, zwei Kinder, Moto Guzzi   
mit Lafranconi-Auspufftueten, die keinen guten Ruf, aber einen guten Sound   
haben. Ernie ist "heute vernuenftig". Als jugendlicher Mopedfahrer hat er   
runter nach Woffelsbach jeden abgehaengt. Gefahren wurde nur auf der   
aeussersten Profilrille. Held der Dorfjugend war, wer nach wiederholtem   
Aufsetzen die spitzesten Fussrasten vorweisen konnte. 
 
Selbst zwei lebensbedrohende und zahllose kleinere Unfaelle konnten das   
Verhaeltnis zwischen Ernie und seinem Motorrad nie ernsthaft trueben. Erst   
neulich ist sein Kumpel unter einer Leitplanke durchgerutscht -   
querschnittsgelaehmt. Trotzdem: Wenn die Sonne rauskommt ueber der Eifel,   
juckt es in der Gashand. Dann muss Ernie eben mal runter, an den Rursee. An   
irgendwelche Rekorde denkt Ernie dabei nicht. Ein Bekannter ist stolz darauf,   
dass er die lange Kurve vor Steckenborn mit 180 nimmt, beim Kurvenausgang   
voll aufdreht und am Ortseingangsschild 220 Sachen auf der Uhr hat. Eine   
Leistung, von der unter Motorradfahrern mit einer Mischung aus Respekt und   
Kritik gesprochen wird. 
 
"Nur die Besten sterben jung", hat ein Idiot auf den Asphalt gekritzelt. Teil   
des Motorradproblems am Rursee ist es, dass an sonnigen Wochenenden zu viele   
hier eintreffen, die den Spruch gar nicht fuer idiotisch halten.