From: Bernd Sluka, bernd@sledge.phiger.com
Subject: Re: Rechtsfahrgebot <-> Tempolimit ( war: Was kostet ... )
Date: Thu, 01 Feb 1996 23:14:12 MET
Organization: Zwoelfzylinder, schadstoffarm

Im Artikel <310DF3BE.AE5@wetmk2.elektro.uni-wuppertal.de> schreibt Bernd Forner
:
>Hi Bernd,
>
>> Im Gegenteil, eine Limitierung an einer gefaehrlichen Stelle
>> ueberhaupt hinzubekommen, ist schon fast unmoeglich, wie ich aus
>> lokaler Erfahrung weiss. Und wenn, dann gibt es Richtlinien, die
>> vorschreiben, dass an bestimmten Strassen ueberhaupt nicht oder
>> nur bis zu einer bestimmten Grenze limitiert werden darf.
>
>Hier sieht das leider anders aus. Gewoehnliche Stadtstrassen werden auf 30,
>gewoehnliche Landstrassen auf 50 beschraenkt. Und ich frage mich ernsthaft,
>wieso ich eine seit Jahrzehnten mit 50 befahrbare Strasse auf einmal nur
>noch mit 30 befahren soll, obwohl sich ausser der Beschilderung nichts
>geaendert hat.

Die Verkehrsdichte? Soll ich Dir nachweisen, wie stark der Verkehr
inzwischen zugenommen hat, so dass heute Bundesstrassen so befahren
sind, wie vor 30 Jahren Autobahnen? Das Sicherheitsdenken? Vor
einigen Jahrzehnten war der Kfz-Verkehr auch innerorts noch nicht
einmal in der Geschwindigkeit limitiert, vor etwas kuerzerer Zeit,
durfte ausserorts beliebig schnell gefahren werden. Inzwischen hat
man noch mehr gelernt, naemlich dass man 9 von 10 innerorts im
Verkehr getoteten Menschen dieses ersparen kann, indem man "gewoehn-
liche Stadtstrassen" auf 30 km/h beschraenkt. Aehnliche Aussagen
lassen sich auch fuer Ausserortsstrassen und 80 km/h treffen.

Dennoch muss auch diese Beschraenkung den Richtlinien folgen,
besonders die auf 50 km/h einen speziellen Anlass haben.

Hier mal ein Ausschnitt, damit Du klarer siehst:

  VwV zu Zeichen 274 (Zulaessige Hoechstgeschwindigkeit)

  I. Gruende fuer Geschwindigkeitsbeschraenkungen

  Geschwindigkeitsbeschraenkungen sollen, ausser wenn unangemessene
  geschwindigkeiten mit Sicherheit zu erwarten sind, nur auf Grund von
  Verkehrsbeobachtuingen oder Unfalluntersuchungen angeordnet werden,
  wo diese ergeben haben, dass

  1. fuer den Fahrzeugfuehrer eine Eigenart des Strassenverlaufs nicht
     immer so erkennbar ist, dass er seine Geschwindigkeit von sich
     aus den Strassenverhaeltnissen anpasst. Das kann vor allem der
     Fall sein,

     a) wenn in Kurven, auf Gefaellestrecken mit Kurven und an Stellen
        besonders unebener Fahrbahn haeufiger Kraftfahrzeugfueher die
        gewalt ueber ihr Fahrzeug verlieren, ohne durch die Begegnung
        mit einem anderen Verkerhsteilnehmer zu einer Aenderung ihrer
        Fahrweise gezwungen worden zu sein. An solchen Stellen sollten
        Geschwindigkeitsbeschraenkungen aber nur ausgesprochen werden,
        wenn Warnungen vor der Gefahrstelle (durch Zeichen 103 oder
        105 oder durch Richtungstafeln - vgl. Par. 43 Abs. 3 Nr. 3
        Buchst. b-. durch Zeichen 108 oder Zeichen 112) nicht aus-
        reichen,

     b) wenn an einer Kreuzung oder Einmuendung auf der bevorrechtig-
        ten Strasse so schnell gefahren wird, dass der Wartepflichtige
        die Fahrzeuge mit Vorfahrt nicht rechtzeitig sehen kann;

  2. auf einer bestimmten Strecke eine Verminderung der Geschwindig-
     keitsunterschiede geboten ist. Das kann vor allem der Fall sein

     a) ausserhalb geschlossener Ortschaften auf einseitig oder
        beiderseits bebauten Strassen, wo durch den Anliegerverkehr
        haeufiger Unfaelle oder gefaherliche Verkehrslagen entstanden
        sind,

     b) auf Strecken, auf denen laengs verkehrende Fussgaenger oder
        Radfahrer haeufiger angefahren oder gefaehrdet worden sind,

     c) vor Stellen, an denen Verkehrsstroeme zusammengefuehrt oder
        getrennt werden (vgl. auch II zu Par. 7),

     d) auf Steigungsstrecken und Gefaellestrecken, auf denen grosse
        Geschwindigkeitsunterschiede zwischen langsamer fahrenden
        Lastkraftwagen und schnellen Personenkraftwagen haeufiger zu
        Unfaellen oder gefaehrlichen Situationen gefuehrt haben,

     e) in bevorrechtigten Kreuzungszufahrten, wenn fuer Linksabbieger
        keine Abbiegestreifen markiert sind,

     f) ausserhalb geschlossener Ortschaften vor Lichtzeichenanlagen;

  3. die tatsaechlich gefahrenen geschwindigkeiten von anderen
     Verkehrsteilnehmern unterschaetzt oder nicht erwartet worden
     sind. Das kann ausserhalb geschlossener Ortschaftem vor allem der
     Fall sein

     a) in bevorrechtigten Krezungszufahrten im Verlauf schnell
        befahrener Strassen,

     b) an Kreuzungen und Einmuendungen im Zuge von Fahrbahnen mit
        insgesamt vier oder mehr Fahrstreifen fuer beide Richtungen,
        wenn der auf die Fahrbahn einfahrende oder aus ihr ausfahrende
        Linksabbieger den durchgehenden Verkehr kreuzen muss oder
        sonstiger kreuzender Verkehr vorhanden ist,

      c) auf Strecken, auf denen Fussgaenger beim Ueberschreiten der
         Fahrbahn haeufiger angefahren wurden oder in Gefahr geraten
         sind.

  II. Der Umfang der Geschwindigkeitsbeschraenkung richtet sich nach
  der Art der Gefahr, nach den Geschwindigkeiten, die dort gefahren
  werden, und nach den Eigenarten der Oertlichkeit, vor allem nach
  deren optischen Eindruck. Es empfiehlt sich, die zulaessige
  Hoechstgeschwindigkeit festzulegen:

  1. Im Falle I 1a) auf die Geschwindigkeit, die bei nasser Fahrbahn
     noch sicher gefahren werden kann;

  2. im Falle I 1b) auf die nach den Sichtverhaeltnissen angemessene
     Geschwindigkeit;

  3. in den Faellen I 2a), b), d) und 3a) auf diejenigen Geschwindig-
     keiten, die etwa 85% der Kraftfahrer von sich aus ohne Geschwin-
     digkeitsbeschraenkungen, ohne ueberwachende Polizeibeamte und
     ohne Behniderung durch andere Fahrzeuge nicht ueberschreiten.
     Erweist sich oder ist mit Sicherheit zu erwarten, dass diese
     Beschraenkung nicht ausreicht, so ist die zulaessige Hoechst-
     geschwindigkeit noch weiter herabzusetzen. Dann bedarf es aber
     regelmaessiger Ueberwachung;

  4. im Falle I 2c) sind die Geschwindigkeiten der zusammenfuehrenden
     oder zu trennenden Verkehrsstroeme einenader anzugleichen;

  5. in den Faellen I 2e), f) und 3b) auf hoechstens 70 km/h;

  6. in den Faellen I 3c) in der Regel auf 50 km/h.

     Liegt diese Geschwindigkeit erheblich unter der Uebung von 85%
     der Kraftfahrer und ist eine regelmaessige Ueberwachung nicht
     moeglich, so darf eine zulaessige Geschwindigkeit ueber 50 km/h
     allenfalls dann erwogen werden, wenn zusaetzlich ein Ueberhol-
     verbot ausgesprochen wird.

  7. Als Hoechstgeschwindigkeit duerfen nicht mehr als 120 km/h
     zugelassen werden.

  8. Zulaessige Hoechstgeschwindigkeiten sollem mur auf volle Zahlen
     (z.B. 80, 60, 40 km/h) festgesetzt werden.

Soweit einmal ein Ausschnitt, um Dir darueber Klarheit zu verschaffen,
dass Richtlinien (hier bezueglich Verkehrssicherheit) existieren, nach
denen ueblicherweide auch gehandelt wird. Darin aber findet sich
nichts ueber Abschlaege, weil davon ausgegangen wird, dass die meisten
zu schnell fahren. Im Gegenteil werden Beschraenkungen oftmals nach
dem meistgewaehlten Niveau empfohlen.

>> >aber die von der Behoerde vorgesehene, unter guenstigen Umstaenden
>> >nicht zu ueberschreitende, Hoechstgescheindigkeit liegt hoeher als
>> >die Zahl auf den Schildern.
>> 
>> Nein, das ist ein Maerchen, das in der Bevoelkerung weit verbreitet
>> ist und durch die Medien gestuetzt wird. Freilich hat das dann auch
>> wieder Rueckwirkung auf die Forderungen neuer Begrenzungen.
>
>Ja was jetzt? Ist es ein Maerchen oder hat es Rueckwirkungen? Ich glaube
>an die Rueckwirkungen, nicht an das Maerchen.

Die Rueckwirkungen betreffen die Forderungen unbedarfter Menschen.

[...]
>Aber zur Klage:
>
>... was mir zuviel Arbeit ist, mal davon abgesehen, das ich der Klage wenig Aussicht
>auf Erfolg einraeume, weil leider die Gerichte in Richtung "immer mehr Beschraenkungen"
>urteilen. Aber vielleicht sollte ich es doch mal tun.Was kann da eigentlich an Kosten 
>auf einen zukommen?

Wenig. Verwaltungsgerichtsverfahren sind relativ billig.

>> >> Eine Interpretation fuehrt dazu, dass manche dies
>> >> uebertreiben, sich ueberschatzen, andere die Sitaution falsch einord-
>> >> nen. Aus diesen und fast nur aus diesen Situationen heraus werden
>> >> Unfaelle verursacht.
>> >
>> >Richtig, aber genau dies hat nichts mit Schildern zu tun. Paragraph 1 StVO
>> >reicht dafuer voellig aus.
>> 
>> Das wuerde er nur, wenn er befolgt wird und keiner damit ueberfordert
>> wird.
>
>Die Ueberforderung liegt in der Reglementierungswut begruendet, die dafuer sorgt,
>das sich die meisten Kraftfahrer abgewoehnt haben, eigene Entscheidungen zu treffen.

Nein, da (s.o.) Reglementierungen erst eingefuehrt werden, wenn etwas
passiert ist oder zu erwarten ist, dass haeufig Unfaelle auftreten.

>> Selbst wenn Geschwindigkeitsbeschraenkungen nicht zu 100% beachtet
>> werden, trifft doch immer zu, dass, wer an einer Stelle aufgrund der
>> Umstaende langsamer faehrt, dies an derselben Stelle unter denselben
>> Umstaenden auch tut, wenn dort ein Limit heruntergesetzt oder einge-
>> richtet wird (wer denken kann tut auch weiterhin). Dagegen fahren die
>> meisten, die dort schneller fahren, nach Beschraenkung auch deutlich
>> langsamer. Die Verkehrssicherheit steigt mit.
>
>Ja, weil eben die Geschwindigkeitsbegrenzung als Gefahrenzeichen-Emulation
>annerkannt ist, genau wie in meinem Beispiel mit der Kurve.

Das hat nichts zu sagen. Du koenntest an der unmoeglichsten Stelle
eine Geschwindigkeitsbeschraenkung aufstellen und die meisten (bis
auf einige Unbelehrbare) fahren langsamer. Dadurch, und ganz einfach
dadurch, werden weniger Unfaelle verursacht, und wenn, dann sind die
Folgen leichter.

>> >"Ohne triftigen Grund duerfen Kraftfahrzeuge nicht so langsam fahren, dass sie den Verkehrsfluss
>> >behindern"
>> 
>> Richtig. Davon ist regelmaessig auszugehen, wenn beispielsweise ein
>> Fahrzeug auf der Autobahn langsamer als 80 km/h faehrt, bzw. auf son-
>> stigen Ausserortsstrassen (Maximum 100 km/h), langsamer als 60 km/h
>> und eben kein triftiger Grund dafuer vorliegt. So jedenfalls die
>> Rechtsprechung zu diesem Satz.
>> 
>> >105 fahrenden ueberholt, hat keine wesentlich hoehere Geschwindigkeit und wer mit
>> >110 links faehrt behindert den Verkehrsfluss der 160 fahrenden ohne triftigen Grund.
>> 
>> Nein.
>
>Sicher behindert derjenige den Verkehrsfluss. Das dies leider von Gerichten anders
>gesehen wird mag so sein, aber Du wirst doch nicht abstreiten koennen, das ein
>mit 84 km/h daherzockelndes Fz diejenigen stoert (=behindert) die dort schneller
>fahren moechten und nicht ueberholen koennen, oder?

Wenn Du Dich wie oben auf Par. 3 Abs. 2a StVO berufst, hast Du
unrecht. Wenn Du Dich auf moralische Gruende berufst, was jedoch wenig
mit Verkehrsfluss zu tun hat, denn der findet auch bei 84 km/h noch
statt, dann musst Du Dir den Widerstreit der Interessen entgegenhalten
lassen und dass auch umgekehrt der Schnellere den Langsameren behin-
dert. Aber das haben wir an anderer Stelle bereits ausdiskutiert.
>
>> >> Wer sagt Dir, dass die Regel unsinnig ist? Hast Du nachgefragt (bei
>> >> der Strassenverkehrsbehoerde)?
>> >
>> >Die Frage ging zwar an Olaf, aber oben stehen bereits Gegenbeispiele.
>> 
>> Die Du offenbar eben nicht hinterfragt hast.
>
>Hab ich. Aber nochmal die Gegenfrage: Wenn sich an einer Strasse nach Jahrzehnten
>nichts aendert, bis auf die Beschilderung der Geschwindigkeitsbegrenzung, warum
>sollte ich auf einmal langsamer fahren?

Die Zeiten aendern sich. Einige Gruende habe ich Eingangs angerissen.
-- 
                      _
      A            __| |__
     A A          |__   __|               Bernd Sluka
    A   A    u   u   | |    ooo           bernd@sledge.phiger.com
   AAAAAAA   u   u   | |   o   o          sluka@fmi.uni-passau.de
  A       A   uuu    |_|    ooo           bernd@fons.nbg.de