From: Radbert Grimmig, 029352269-0001@t-online.de
Subject: DEMO!
Date: 27 Nov 1997 21:15:58 GMT
Organization: Universitaet Dortmund

Leider hatte ich gestern abend den @/&($-Elektrofips in der Hupe nicht  
mehr finden koennen - muss aber wohl doch in einem der Kabel am Relais  
oder im Schalter oben sein ... grrrmbl ... jedenfalls funktionierte die  
Hupe nach dem erneuten in-die-Verkleidung-Knubbeln der Kabel etwas oefter 
als vorher ... sodann hatte ich mit Schlauchschellen einen Besenstiel als 
Fahnenmast am Gepaecktraeger aufgeriggt. Mutter hatte nicht nur eine alte 
Buegeldecke geopfert, sondern war sogar bereit, sich von einer Tischdecke 
zu trennen - prima, dann reichts auch noch fuer ein Transparent vorn 
ueber die Verkleidung ... fantasielos, wie ich bin, schrieb ich einfach 
"SCHLUSS JETZT!" drauf. Einer spontanen Eingebung folgend, fuegte ich 
meine rrr# hinzu ...

Heute morgen um sieben Uhr aus dem Bett gequaelt - kein Brot da, Papa 
geht erst noch zum Baecker - auch nett, dann poll ich erst noch. So weit 
hatte die Strecke auf der Karte auch gar nicht ausgesehen, in Olpe auf 
die Bahn, in Bielstein wieder runter, noch 25 km Landstrasse und die 
letzten paar Meter Stadtautobahn und durch Bonn bis zur Josefshoehe, kann 
nicht viel mehr als 160 km sein. "Ueber Much willst Du fahren? Da ist es 
doch so bergig ..." sagt Papa. Kann mir eigentlich nur recht sein, 
andererseits: wenns fruehmorgens kalt und feucht ist, machen die Kurven 
eh keinen Spass. "Fahr doch lieber ueber Overath." Hm, ginge auch. Ich 
beschliesse, die endgueltige Wahl von meinem Spritvorrat abhaengig zu 
machen.

Bis Olpe *ist* es kalt und feucht, die Kurven *machen* keinen Spass, der 
Sprit reicht auch, doch an der Tanke in Overrath bin ich dann doch etwas 
ungluecklich, denn jetzt ist die Sonne draussen und die Strassen so weit 
abgetrocknet - und die gehen hier weitgehend geradeaus. Na ja, ist ja  
alles nicht fuer Spass. In Bonn frag ich an einer Tanke nach dem Weg, der 
Mann hat keine Ahnung und verweist mich an einen Taxifahrer. Dieser ist  
eher noch juenger als ich und dennoch ausgesprochen muffelkoepfig: "Ja,  
weiss ich, wo das ist, obwohl, da drin" (deutet auf die Tanke) "gibts 
auch nen Stadtplan, komm mir immer vor wie ein Auskunftsbuero, dauernd 
kommt wer ran ... also , da hinter der Aral rechts rein, an der 
Einmuendung links, dann noch zweihundert Meter, dann rechts." Wixer. 
Egal. Scheint ganz in der Naehe zu sein.

Auf dem Parkplatz vor der Strassenbahnhaltestelle Josefshoehe fallen die 
200 ebbes Studis, die bereits da sind, zwischen den Gluehwein- und  
Wuerstchenbuden gar nicht weiter auf - es ist auch erst halb elf und es  
waren grad mal 144 km. Ich stell mich zwischen eine Gulaschkanone und  
einen Gluehweinstand und befestige das vordere Transparent. Nach und nach 
fuellt sich der Platz, die ankommenden Bahnen aus Richtung Hauptbahnhof  
werden immer voller - ob der Dortmunder AStA da nicht etwas knapp  
kalkuliert hat mit der "Ankunft Josefshoehe 11:54"? Inzwischen bereue ich 
es, mich nicht woanders hingestellt zu haben ... besipielsweise an einen 
Ort, von dem aus ich an den ANFANG des Zuges fahren kann, wenns losgeht  
... andererseits kenn ich mich weder in Bonn aus, noch weiss ich auch 
nur, in welche Richtung wir den Parkplatz verlassen werden, also was 
solls. Wenn ich hinterher zockel, wird aus dem Spruch auf dem Transparent 
sogar noch ein Bonmot ... Inzwischen gehen die Reden los ... eine 
Paedagogik-Ersti aus Giessen schildert die unglaublichen 
Studienbedingungen, und mir bricht das Herz. Ein Typ namens Olaf *Bartz* 
von der Uni *Koeln* stellt den Forderungskatalog vor. Sehen kann ich ihn 
nicht; er redet aber ganz anders als Christopher - das wird doch wohl 
nicht der Bruder sein, der bald die "aus-zwei-mach-eins"-Domi kriegen 
wird?

Die verschiedensten Leute sind da, aber irgendwie doch alles ganz normale 
Studis. Und sehr sehr wenige Demo-Profis. Kaum Kapuzentraeger, viele  
Transparente sind aus Pappe oder gar Papier, einige enthalten noch nicht 
mal Loecher, bei ner Anti-Atomkraft-Demo oder sonst einer ernsthaften  
Konfrontation mit der Staatsgewalt haetten diese gepierceten Leutchen 
hier keine Schnitte. Aber es sind auch eindeutig weder Autonome noch gar 
die Kinder der Unterprivilegierten, um mich herum wimmelt es von teurem  
Nappaleder und Markenklamotten, und die anwesenden Protest-Parasiten  
werden mit ihrem Gluehwein und ihren Wuerstchen einen guten Schnitt  
machen. Dabei sind die Preise noch zivil, Kaffee eine Mark, Erbsensuppe  
drei ...

Die Linke ist mal wieder bestens organisiert; obwohl vermutlich nur ein  
sehr geringer Prozentsatz der Teilnehmer sich ihr zuordnen wuerde oder  
auch nur sympathisiert, wimmelt es von knallroten Transparenten, Jusos,  
PDS, DKP, sogar eine kleine PKK-Fraktion. So wird man benutzt, garantiert 
werden spaeter auf irgendwelchen Pamphleten dieser und anderer  
Organisationen Fotos von uns auftauchen, und sie werden alles so  
hinstellen, als sei das alles ihre Aktion gewesen ... genau wie bei  
unseren letzten Dortmunder Demos halt ... nicht zu vergessen den 
Bekehrertypen mit seinem "Jesus Lebt!"-Schild ... was solls. Die 
Schnittlaeuche verhalten sich ruhig, bis auf einen Motorradbullen, der 
hektisch seine K75 auf und ab treibt.

Irgendwann soll es dann doch losgehen, aber es geht sehr langsam los, es 
dauert schon laenger als 45 Minuten, bis auch nur alle von diesem Platz  
runter sind - die muessen fast bis auf die Autobahn gestanden haben. Ich 
reih mich hinter dem Traktor von der Agrar-Fakultaet der Uni Bonn ein, 
die Jungs und Maedels auf dem Anhaenger lassen es sich gut gehen. Ich 
lass mir eine Dose Krombacher anreichen und schaffe es so grade, sie 
leerzuziehen, bevor es bergauf geht und ich die freie Hand fuer die 
Kupplung brauch.

Und jetzt beginnt der anstrengende Teil. Den Motor dauernd ausmachen will 
ich nicht, weil ich mangels Startleistung nicht sicher sein kann, ob ich 
ihn ohne weiteres wieder ankriegen wuerde. Dank der kalten Aussenluft und 
dem funktionierenden Luefter faengt aber nix an zu kochen und alles 
bleibt dicht. Die Kupplung geht hoellisch schwer und es wird immer 
schlimmer. Ohne Handschuhe geht es etwas besser, aber ich weiss im 
Nachhinein nicht so ganz, wie ichs ueberstanden hab. Zeitweise bleibt 
links ein schmaler Rand frei von Demonstranten, und ich lass mich 
eingekuppelt mit Standgas rollen, um die Hand etwas lockern zu koennen. 
Dann muss ich wieder anhalten; eine Kommilitonin fuehlt sich irritiert: 
"Sag mal, was soll das eigentlich werden?" Breit grinsend schau ich sie 
an: "Was *glaubst* Du wohl, was das hier werden soll, Baby?" Ihre 
Nebenmaennin beruhigt sie: "Lass, er hat ein Transparent vorne dran ..." 
Sonst sind die Reaktionen ueberwiegend positiv, groesstenteils von 
Sauerlaendern, die sich freuen, dass ich hier unserer Fahne hochhalte ... 
nur die beiden "achterlichen Feger" von Ordnerinnen sind etwas 
griesgraemig. Die Haesslichere von beiden ist sogar geradezu muerrisch 
und verhindert mit einer erzuernten Gardinenpredigt, dass ich mir - 
direkt unter den Augen der Ordnungshueter - einen staerkenden Schluck 
Appelkorn schenken lassen darf - ob die Jungs mich wohl rausgezogen und 
an Ort und Stelle pusten gelassen haetten? - Irgendwann stehen sogar ein 
paar Dortmunder AnglistInnen am Strassenrand, entdecken mich, winken und 
fotografieren. Das gibt ein Bild - um sowohl der Helmpflicht als auch dem 
Vermummungsverbot genuege zu tun und ueberhaupt zu De-Eskalation hab ich 
mir naemlich Papas Jethelm Marke "Eierschale" ausgeliehen, ich seh 
bestimt aus wie Calimero ... na ja.
  
Irgendwann ist es vorbei, zur Kundgebung hab ich keinen Nerv mehr und  
warte nur noch, bis sich der Verkehr etwas beruhigt hat, dann heisst es  
Rueckfahrt nach dem Motto "Wenn wir zur Tagesschau zu Hause sein
wollen ..."

Obs was genuetzt hat? War auf jeden Fall spassig.

Bess dann, Radbert
--
http://zebra.fh-weingarten.de/~rrr/drm.faq/ - hier gibts die drm.FAQ
http://www.dejanews.com/ - alle alten Postings zu Heizgriffen,  
Gegensprechanlagen etc.